Schwanen-Höhen-Flug
LANDESTHEATER IM HAUS FÜR MOZRAT / SCHWANENSEE
21/03/14 Der Tänzer Peter Breuer hat die Rolle des Siegfried im Ballett „Schwanensee“ zwischen 1967 und 1988 in 25 verschiedenen Inszenierungen in München, Berlin, Düsseldorf, London, New York oder Johannesburg getanzt. Fünfhundert Mal und mehr. Er kennt die klassische Petipa/Iwanow-Choreographie genauso, wie die Lesart von John Cranko. Mit seinem eigenen Schwanensee legt Peter Breuer, seit 1991 Ballettdirektor des Landestheaters, sein opus summum als Choreograph vor.
Von Heidemarie Klabacher
„Schwanensee“ und „Traum“. Diese beiden Wörter müssen auf einen Atemzug gesprochen werden, müssen in einem Satz zu stehen kommen, wenn von einer erfolgreichen Aufführung des wohl berühmtesten aller klassischen Ballette die Rede sein soll. Peter Breuers „Schwanensee“, der am Donnerstag (20.3.) im Haus für Mozart bejubelte Premiere feierte, ist nicht nur ein Traum in Mondblau und Silberweiß. Diese Choreographie ist auch voller Spannung.
Die märchenhafte Geschichte vom Kampf zwischen Gut - Prinz Siegfried - und Böse - Rotbart - um die verzauberte Schwanenjungfrau wird von allen Tänzerinnen und Tänzern in der Technik virtuos und in der Ausdruckskraft bewegend erzählt. Dazu kommt, dass sich Peter Breuer für diese Geschichte nicht nur der Ausdruckspalette des klassischen Balletts bedient, sondern immer wieder auch Elemente modernen Tanztheaters verwendet.
Anna Yanchuk tanzt die Doppelrolle Odette/Odile: In der Interpretation von Peter Breuer ist die verzauberte Schwanenprinzessin eine große verzweifelt Liebende. Ihre Gegenspielerin, die geheimnisvolle Helferin des Rotbart, ist eine gewiegte Intrigantin. Wie es sich gehört. Doch Anna Yanchuk tanzt die weiße Odette mit ebensoviel Kraft, Energie und Selbstbewusstsein wie die schwarze Odile.
Auch Peter Breuers Schwäne – nur die Solistin, sondern auch das hervorragende Corps – sind ihren Vorbildern aus dem Tierreich nicht nur in ihren eleganten Bewegungen erstaunlich ähnlich: Mit Schwänen soll man sich nicht unbedingt anlegen. Mit scharfem Zischen und drohendem Flügelschlag können sie auf unliebsame Annäherung reagieren. Dieses Potential latenter Aggression kommt immer wieder in kleinen und kleinsten Bewegungen zum Ausdruck. So „klassisch“ Peter Breuer die weißen Akte anlegt und sich mit seiner Arbeit vor seinen großen Vorbildern verneigt - immer wieder ist auch in den Traumszenen eine moderne Bewegungssprache spürbar.
In den Gesellschaftsszenen zu Beginn des Balletts geht Peter Breuer noch einen Schritt weiter: Die melancholische Stimmung Siegfrieds etwa – die Mädels auf seiner Geburtstagsfeier interessieren ihn keine Spur – findet immer wieder in Vokabeln zeitgenössischen Tanzes ihren Ausdruck. Nicht nur das Solo, in dem der Tänzer Asher Smith dieser Zerrissenheit bewegenden Ausdruck verleiht, erzählt von quasi „modernen“ Gefühlen: Auch die Choreographie für die Tänzerinnen und Tänzer des Corps – gekleidet in schlichte schwarze Kleidchen bzw. Jeans und Hemd – ist locker, duftig, heutig. Die Musik wirkt an dieser Stelle fast zu pompös für die Leichtigkeit der Choreographie.
Die Nummern in der große Ballszene, die „Spanier“ oder die – brillant getanzten - Soli der vier heiratswilligen Prinzessinnen sind wohl enorm energiegeladen, in der Bewegungssprache aber wieder eher klassisch. Witzig sind die Prinzessinnen in ihren Rollen als „beleidigte Zicken“, wenn der störrische Prinz seine Aufmerksamkeit ganz der Schwarzen Prinzessin Odile widmet. Diese kleinen Spielszenen im Hintergrund erzählt Peter Breuer mit Witz und Understatement, ohne von den virtuosen Leistungen der Solisten abzulenken. Bildkräftig und dennoch zurückhaltend ist die Ausstattung von Bruno Schwengl in dieser Szene, geradezu ins Traumhafte weitet sich das Bild am See.
Josef Vesely ist der charismatisch-bedrohliche Blaubart, Cristina Uta gibt Siegfrieds Mutter als femme fatale. Yoshito Kinoshita, gekleidet wie ein Zen-Bogenschütze, tanzt die Rolle des Freundes und Vertrauten von Prinz Siegfried: Ohne den fernöstlichen Touch zur Folklore zu verkleinern, bringt dieser technisch grandiose Tänzer einen weiteren stilistischen Akzent.
Ein Schwanensee muss von vielen Schwänen bevölkert sein. Die 17 Tänzerinnen und Tänzer des Landestheaters hätten nicht ausgereicht, um „Schwanensee“ nach Peter Breuers Vorstellungen auf die Bühne zu bringen. Wie berichtet, kooperiert das Landestheater für diese Produktion mit der „Escola do Teatro Bolsho i no Brasil“ in Joinville, einer Zweigstelle der Ballettschule des Bolschoi-Theaters in Moskau. 15 junge Tänzerinnen und Tänzer aus Brasilien proben seit Jänner zusammen mit Peter Breuers Ensemble. Das Corps der Schwäne, die „Kleinen Schwäne“ und die „Großen Schwäne“: Sie alle haben stilistisch aus einem Guß diesem „Schwanensee“ die Aura des Märchenhaften geschenkt.
Dazu kommen die sparsam aber effektvoll eingesetzten Videoprojektionen von Guido Petzold, die etwa die spektakuläre – und doch so raffiniert einfache – Verwandlung der Menschenfrau in einen Schwan ermöglichen.
Bei einer so großen Ballettproduktion kommt die Musik natürlich aus dem Orchestergraben: Das Mozarteumorchester ließ viele fein artikulierte Soli hören. Es überraschte unter der musikalischen Leitung von Mika Eichenholz oft aber auch mit unmotivierter Lautstärke und erstaunlich wenig subtiler Phrasierung. Die Tänzerinnen und Tänzer schwebten über allem – und nahmen ihr Publikum mit.