Todesparabel und Satyrspiel
UNI MOZARTEUM / KAISER VON ATLANTIS / MAHAGONNY
12/03/13 Wieder ein großer Opernabend im Großen Studio der Universität Mozarteum: Viktor Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ und Brecht/Weills „Mahagonny Songspiel“. Der Tod verweigert dem Kaiser die Gefolgschaft - dafür umschwärmen TV-Zappelphilippe umso energischer die blonde Jessie.
Von Paul Kornbeck
Ullmanns immer wieder berührende Parabel aus Theresienstadt, eine Tragödie des Menschen im Faschismus, mit dem grellen Songspiel und seiner bitterbösen Kritik am Kapitalismus zu verbinden, mag zunächst ein wenig befremden. Vor allem, wenn es ohne Pause geschieht. In Julia Wisserts Inszenierung tritt Brechts Spielmacher, der fabelhafte, bizarr-komische Sopranist Onur Abaci, unter die Trauergesellschaft des untergegangenen Kaiserreichs. Und praktisch ohne Zäsur setzt Weills freche Schlagermusik dort ein, wo Ullmann soeben mit leiser Trauer geendet hat. Abgesehen davon, das sich für den Songstil der zwanziger Jahre in Ullmanns vielgestaltiger Partitur genügend Belege finden, vom Foxtrott bis zum Shimmy und zum Liebesduett a la Operette der Edelklasse, abgesehen davon auch, dass auch die Raubtiervariante der Geldwirtschaft Krieg gegen die Menschheit bedeutet: Das Satyrspiel nach der Tragödie hat nicht nur Tradition, sondern wird in der Lesart des Regieteams dieser Produktion völlig glaubwürdig als logische Folge präsentiert.
Julia Wissert, die selbst noch bei Amélie Niermeyer am Mozarteum studiert, kommt mit wenigen Mitteln aus. Zunächst dominieren senkrecht zu Boden fallende, mitunter zu luftigen Sitz- und Schaukelgelegenheiten drapierte Schnüre die hauptsächlich mit düsterem Scheinwerferlicht und Bühnennebel bespielte Szenerie. Darin gelingt in Thilo Ullrichs und Lisa Nickstatts wirkungsvoll bildkräftiger, die Zeiten mischender Ausstattung kluges und phantasievolles Theater ohne erhobenen Zeigefinger, aber mit desto direkterer Wirkung. Die Geschichte von der Pervertierung durch den Krieg und der Weigerung des Todes, seines Amtes zu walten, wurde 1944 im Lager Theresienstadt nach der Generalprobe abgesetzt. Eine visionäre Verklärung des damaligen „Kaisers“ wie in Ullmanns Oper war auch im Todesfalle nicht zu erwarten.
Bewundernswert, wie körperbetont junge Sängerinnen und Sänger heutzutage agieren, als wahre singende Darsteller. Auch im Songspiel, wenn die kokainsüchtigen Zappelphilippe der Fernsehshows Geld machen und die natürlich blonde Jessie (mit feinem Sopran und Stilgefühl: Anna Landgraf) umschwärmen.
In Ullmanns Oper war der isländische Bariton Oddur Jónsson eine rundum perfekte Besetzung der schwierigen, bis in Tenorhöhen reichenden Partie des Kaisers, erschreckend in der Attacke und berührend im lyrisch fokussierten Sterben. In der Vorstellung am Dienstag wird Robert Davidson die Rolle übernehmen. Der Bass Peter Kellner (ein eindringlicher Tod, auch idiomatisch), der gut geführte Charaktertenor Aco Biscevic (ein wundersam trauriger Harlekin), der die „Banalität des Bösen“ verkörpernde „Lautsprecher“ des Manuel Millonigg, der sehr weibliche, den Kaiser becircende Trommler von Karin Torbjörnsdóttir und das anrührende Liebespaar (Claire Craig mit frischem Sopran als „Bubikopf“ und der helle Tenor Derek Rue als zur Liebe findender Soldat) ergeben ein prächtiges Ensemble, welches klanglich akzentuiert vom Kammerorchester der Uni Mozarteum begleitet wird. Als musikalischer Leiter waltet Kai Röhrig, der nicht bloß ein versierter Theaterkapellmeister ist, sondern alle Farben der Ullmann-Oper zwischen Mahler, Zemlinsky und Swing gefühlvoll zum Leuchten bringt und ebenso Kurt Weills trockenen Charme trifft. Hingehen, ansehen, anhören – es muss heute sein, weil öfter spielt man’s leider nicht.