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Nicht wirklich gut gegen Nordwind

LANDESTHEATER / MASSENET / WERTHER

10/03/13 Schriebe Goethe seinen „Werther“ heutzutage, käme dann so etwas wie „Gut gegen Nordwind“ heraus?  Oder würde der Stürmer und Dränger unserer Tage gleich auf Live-Chat setzen, natürlich mit Bildübertragung? Würden all die schönen Erinnerungen Werthers als Video in halb privaten Internet-Foren landen?

Von Reinhard Kriechbaum

Dann könnte es eng werden für Charlotte, die doch immer ganz die brave große Schwester, Hausfrau und ur-treue Verlobte/Ehefrau von Albert war und ist. Schließlich hat sie der Mutter an der Bahre versprochen, Albert zu heiraten. Dass der deutlich attraktivere Werther ihre Bahnen kreuzen würde, war da nicht abzusehen. Nun sitzt sie also am Laptop, während der langweilige Ehemann in einem etwas spießigen Oldie-Pullover auf häuslich/weihnachtlich macht und Kugeln an den Christbaum hängt. Was für ein Unterschied zum Temperamentsbündel Werther, der seinerzeit immer mir der Videokamera um Charlotte wuselte, um nur ja keinen schönen Moment mit ihr undokumentiert zu lassen.

Von „übertriebenen Forderungen, unbefriedigten Leidenschaften und eingebildeten Leiden“ schrieb Goethe, selbst nach dem Grund für die Werther-Manie seiner Tage suchend. So anders liegen die Dinge im Facebook- und Twitter-Zeitalter gar nicht. Der szenische Ansatz von Jim Lucassen (der im Salzburger Landestheater vor Jahren Benedetto Marcellos Barockoper „Arianna“ inszeniert hat) ist also durchaus passend. Er hilft auch, die Gefühls-Cinemascope-Ästhetik der 1892, in der Hoch-Zeit des Verismo, uraufgeführten Oper von Jules Massenet ein wenig auf Normalpegel herunter zu brechen.

Da arbeitet die Musik, wie sie Adrian Kelly mit dem Mozarteumorchester umsetzt, der heutig-unprätentiösen Szene zu. Natürlich, die süffigen Melodien dürfen zu ihrem Recht kommen, das melancholische Schwelgen und die Fagott- und Bassetthorn-eingefärbten Trübsinnigkeiten der Partitur. Aber so, in leicht reduzierter Orchestergröße, hat dar Gout der Grande Opera immer auch einen deutlichen Drall zu Puccini. Das schadet keineswegs. Vor allem lässt sich so wunderbar singen und fein gestalten.

Der Tenor Andeka Gorrotxategui (für Sprach-Rätsler: Er ist Baske) kann als Werther seine unerfüllten Leidenschaften ohne Forcieren ausleben, sogar oft auf ein mutig-zerbrechliches Piano setzen, wo man eher ein schwelgerisches Aufdrehen erwartete. Die Russin Nadezdha Karyazina ist die Charlotte, am Premierenabend zu Beginn vielleicht etwas zu metallen in der vokalen Attacke, dann aber sehr diszipliniert. Diese Charlotte berührt, wenn sie im Negligée am Laptop sitzt und ordentlich durchgebeutelt wird in ihrem unverschuldeten Zwiespalt zwischen Seelengefühl und Ehepflicht. Simon Schnorr ist der Gatte Albert, persönlichkeitsstark, aber zurückhaltend die meiste Zeit: wie ruhend in der moralischen Selbstgewissheit des Gut-Bürgers, der zu wissen glaubt, dass er im entscheidenden Moment gegenüber den aus dem Ruder laufenden Emotionen ohnedies am längeren Hebel sitzen werde. Stimmlich leicht und flockig tändelnd: Laura Nicorescu als Charlottes Schwester Sophie.

Johannes Wiedecke ist ein sonorer Amtmann. Unüberhörbar, dass Adrian Kelly nicht nur der Balance zwischen Bühne und Orchestergraben, sondern auch der vokalen Gleichgestimmtheit im Ensemble große Aufmerksamkeit gewidmet hat, auch den beiden „lustigen“ Figuren Schmidt und Johann (Philipp Schausberger, Einar Th. Gudmundsson). Bestens präpariert (von Wolfgang Götz) und szenisch gut geführt die Kinder.

Die armen Kerle müssen ja schon Weihnachtslieder üben zu einer Jahreszeit, da sie noch im Garten biwakieren und mit einem Schlauchboot herumspielen dürfen. So richtig Weihnachten ist es erst im vierten Akt. Auch diese Szenen, ganz unverkrampft heutig, nehmen der Oper den latent lauernden Pathos und das ist gut so. Die Personenführung ist aufmerksam, und Regisseur Jim Lucassen nutzt auch viele Gelegenheiten, um ein wenig hinter die psychischen Befindlichkeiten der Protagonisten zu leuchten. Da ist etwa die Szene zwischen Werther und Albert – letzterer gibt sich einen jovialen Anstrich als ausgefuchster Männer-Versteher – hervorzuheben.

Schade, dass der Regisseur letztlich vor der Konsequenz, es wirklich beim Skypen zwischen den Liebenden zu belassen, zurückschreckt. So kommt es also zum unvermeidlichen Reality-Doppel-Selbstmord in dem luftigen Gartenhäuschen, das für Begräbnis (in der Ouvertüre), Feldmesse (2. Akt) und schließlich Liebestode gleichermaßen gut taugt. Auch Bühnenbild (Roel van Berckelaer) und Kostüme (Dritan Kosovrasti) unterstreichen den unprätentiösen Flair dieser Aufführung, die unbedingt Mut macht, es im (kleinen) Salzburger Landestheater doch ruhig öfter mit (großer) französischer Oper zu versuchen.

Aufführungen bis 19. April - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Christina Canaval

 

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