Wie klingt Dein Frühstück?
ARGEkultur / JAHRESPROGRAMM
11/01/23 Der große Publikumsschwund ist ausgeblieben. Trotzdem hat auch die ARGEkultur mit veränderten Erwartungen, einem anderen Verständnis von Kunst und Kultur und „manchmal auch mit ganz handfesten materiellen Sorgen und Nöten zu tun“. Konsequenz für ARGE-Leiter Sebastian Linz und die neue Chefdramaturgin Martina Fladerer: Das Lieblings-Festival wird aufgelöst.
Von Heidemarie Klabacher
„Wir lieben das Open Mind Festival, wir finden es sehr gut. Dennoch müssen wir unser Festival auflösen.“ Damit überraschte ARGEkultur-Leiter Sebastian Linz beim Pressegespräch zur Programmprästentation heute Mittwoch (11.1.). Auflösen, wohlgemerkt, nicht abschaffen. Es gibt ein Nachfolge-Format: „Wir streuen den Geist von Open Mind über den gesamten Jahresspielplan .“ Geben werde es mehrere kleinere Festivals, vor allem aber wolle man „andere Formate diskursiv begleiten“. Will heißen: „Wir stärken die Inhalte. Arbeiten stärker lokal mit anderen Kulturinstituionen zusammen.“ Regelmäßig, „frequently“: Statt eines einzigen Festivals im November, begleiten, vertiefen und kommentieren wir das Programm der ARGEkultur ab diesem Jahr regelmäßig mit wechselnden transdisziplinären Begleitprogrammen.“ Logischer Name dafür: Open Mind Frequently. „Kleiner. Interventionistischer. Lokaler.“
Den Anfang macht die Performance Drei Tage wach des Theaters der Mitte schon im Februar. Drei Drei Tage wach ist ziemlich wörtlich zu verstehen. 53 Stunden wollen die Künstler man durchgehnd performen, „Aufgaben bewältigen, die sich selber gestellt haben“. Das Publikum kann mittels Drei-Tage-Pass dabei bleiben, allerdings auch seine eigene Kuscheldecke mitbringen.
Werden soll das Ganze ein „scharfer Kommentar“ zu den Themenfeldern Leistungsgesellschaft, Überwachung und Erschöpfung. „Leistungserbringung unter prekären Umständen“, von ganz normalen Menschen, nicht nur von Highperformer. „Selftracking und wie dieses Herrschaftssysteme unterstützt“ und „Erschöpfung, etwa von Alleinerzieherinnen“ werden beleuchtet. „Im Saal wartet eine Landschaft aus Matratzen – ein Ort der Ruhe, der seine Besucherinnen aber nicht in Ruhe lässt. In entspannter Atmosphäre befragen, vertiefen und kommentieren wir die Performance im Studio mit Lektüre, Diskurs, Film und Musik.“ Soweit so ungemütlich – wie der gesamte Komplex: Denn wovon sprechen wir überhaupt, wenn wir von Leistung sprechen? Was bewegt uns dazu, Leistung zu erbringen? Wie hängen Leistung, Kapitalismus und Prekariat zusammen? Welche Rolle spielen dabei (Selbst-)Überwachung, das Tracken von Leistungsdaten und der Optimierungsgedanke? Welche gesellschaftlichen Gruppen erschöpft der Zwang zur Leistung besonders und welche Auswege gibt es, die aus dieser Erschöpfung herausführen könnten.“
Im Bereich Theater, Tanz, Performance gibt es wieder zahlreiche Koproduktionen, Gastspiele und Festivals. Sebastian Linz und Martina Fladerer freuen sich über die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen, die sich mit lokalen Themen und städtischen Communities, mit Salzburger Bürgerinnen und Bürgern auseinandersetzen.
Ein großes Anliegen ist den Verantwortlichen etwa das stART-Projekt Playlist. „Salzburg als diverse Stadt erfassen, Hintergründe erforschen, wie salzburg als migrantische post-migrantische Stadt klingt“, war schon mal Thema, und zwar des Projekts Corpus-Stadt von Marco Döttlinger und Alexander Bauer: Field-Recordings erfassten ein „Klanggeschehen, das oft überhört wird, obwohl es genauso selbstverständlich ist wie Festspiele“. Und nun setzt man bei Kindern an, genauer gesagt, bei einer zweiten Klasse der Volksschule Josefiau: Wie klingt deren Tag. Deren Frühstück oder Schulweg... Was dabei herauskommt, ist völlig offen. Ein Buch? Eine Website? Jedenfalls ist es kein simpler Kompostionsauftrag, wie bisher.
Kabarett-Bereich sei in der kommenden Saison etwas umfangreicher als im Vorjahr, dank dreier flexibler Wahlabos, seien die Verkaufzahlen wieder auf vor-corona Niveau. Darüber ist die ARGE-Leitung besonders dankbar: „Kabarett finanziert viele Projekte mit, die nicht auf Komerz angelegt sind.“ Wichtig ist im Kabarett die bei immerhin dreißig Prozen liegende Frauen-Quote: „Wer spricht über was auf der Kabarett-Bühne“.
Musik wird es natürlich auch geben: „Im Vorjahr hatten wir ein riesen-fettes Musikprogramm, samt einer Frauenquote von fünfzig Prozent.“ Dem versuche man wieder gerecht zu werden. Der Konzerbereich der ARGE habe sich durch pandemie am stärksten verändert, erzählt Sebastian Linz: „Die Gagen durch die Pandemie exorbitant gestiegen. Wir versuchen höhere Gagen zu zahlen, versuchen aber, nichts an den Tickettpreisen ändern. Das sind wir dem Publikum schuldig.“
www.argekultur.at
Bilder: Stills aus dem Pressegespräch