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Erkennen Sie die Melodie?

KAMMEROPER SALZBURG /  EUROPERAS

21/09/22 Ein Fernduett zwischen Puccinis Mimí und Wagners Holländer-Steuermann, zwischen Sopran-Lautsprecher und Analog-Tenor – eine erstaunlich passende, ja berührende Konstellation. Am Ende Luciano Pavarottis Stimme mit Nessun dorma, womit völlig klar ist, dass das narrative Musiktheater auch John Cage und das „Ende aller Opern“ mühelos überlebt hat.

Von Gottfried Franz Kasparek

John Cage, der Universalkünstler der Avantgarde, mochte die Oper nicht. 200 Jahre lang hätten „die Europäer den Amerikanern ihre Opern geschickt“. Mit seinen fünf Europeras wollte er ab 1987 „alle auf einmal“ zurückschicken. Nun landeten die Nummern 3 und 4 dank der rührigen Kammeroper Salzburg in der herbstlichen Kälte der Kollegienkirche und erwärmten das Herz. Was doch etwas überraschend war.

Eher war es eine Liebeserklärung an die Oper, die da erklang. Nun ja, auch so gescheite Menschen wie Cage irren mitunter. In Wahrheit haben die europäischen Auswanderer, darunter Leute wie Lorenzo da Ponte, die Oper in die USA mitgenommen und in der neuen Heimat weiter gepflegt – und daraus auch, spätestens seit William Henry Frys Leonora 1845, eine amerikanische Oper entwickelt. Diese ist bei uns leider wenig bekannt, aber zumindest mit George Gershwins Porgy and Bess hat sie Weltruhm erlangt. Doch dies hat Mr. Cage ebenso geflissentlich ignoriert wie den Aufstieg des Musicals bis hin zu opernnahen Stücken wie Leonard Bernsteins West Side Story.

Im Anti-Opern-Kosmos der Europeras stammt keine Note von Cage. Mit Opernhits von Monteverdi bis zu Puccini und Korngold gefüttert, bestimmen Computerprogramme den „zufälligen“ Ablauf der Nummern, die aus Lautsprechern erklingen. Sängerinnen und Sänger wandeln über beleuchtete, mitunter von Blitzen markierte Quadrate und stellen sich in Positur, um bekannte und beliebte Arien ohne Begleitung ins Publikum zu schmettern, während sich aus den Lautsprechern allerlei dramatische Zusammenballungen bilden und  zwei Live-Klaviere mit Liszt-Transkriptionen einen vor allem wagnerischen Klangteppich weben.

Der Dirigent wird durch eine Uhr ersetzt und sitzt mit dem Tontechniker an einem Mischpult. Im Programmheft wird das als Revolte gegen Schönbergs strenge Zwölftontechnik und Wagners „Gesamtkunstwerk“ bezeichnet. Sowie – was leider oberflächlich und dumm ist – gegen „eine autoritäre Gesellschaft, deren Ausdruck diese Musik ist“.

Schönberg war Cage's Lehrer, von dem sich der Schüler halt sein Leben lang abnabeln musste, und Wagner hat bekanntlich mit seiner Ring-Tetralogie eine zeitlose Parabel über den Untergang einer auf Macht gegründeten Gesellschaft geschaffen. Was Cage wollte, war ein neues und freieres, wenn auch beliebigeres Gesamtkunstwerk. Das passt bestens zum Festivalmotto der sehr der Improvisation zugeneigten Kammeroper Salzburg und das neue Festival MusiKunsTheater, das am mit den Europeras von Cage eröffnet. Geworden ist es freilich eine Art Opern-Wunschkonzert, technisch aufgepeppt und ein wenig „sophisticated“ verbrämt. „Erkennen Sie die Melodie“ in eine eher transparente Klangwolke gehüllt. 

Unter der Kuppel der grandiosen Fischer von Erlach-Kirche hat Ausstatter Michael Hofer-Lenz einen weißen, blätterlosen Kunst-Baum aufgestellt, der stimmungsvoll mit der linearen Architektur und den duftigen Stukkaturen des Altarraums kommuniziert. Dieser Traum im Weiß wird atmosphärisch beleuchtet und von einem erfrischend jungen Ensemble bespielt, das nach Herzenslust Arien singt und aus jeweils zwei Sopranen, Altistinnen, Tenören und Bässen besteht: Electra Lochhead, Zsófia Szabó, Katrin Heles, Tatjana Kuryatnikova, Alexander Hüttner, Ivan Sánchez-Áquila, Jakob Hoffmann, Nils Tavella – alle vor den Vorhang!

Von den Klavieren, perfekt gespielt von Gereon Kleiner in beiden und von Lei Meng nur in der ersten, längeren und größer besetzten der Europeras, hätte man mitunter gerne mehr gehört als in dieser Akustik möglich. Zwischen den Teilen gab es eine gelungene Sprech-Sing- und Bewegungs-Improvisation des Ensembles über einen hochpoetischen Text von Anja Bachl.

Diese lyrische Meditation Zwischen den Zeiten über Wenn etwas seine Form verliert... ist gottlob im Programmheft nachlesbar. 

Gegen Ende der zwei erfüllten Stunden gibt es eine Art Fernduett zwischen Puccinis Mimí und Wagners Holländer-Steuermann, zwischen Lautsprecher und analogem Tenor – eine erstaunlich passende, ja berührende Konstellation. Am Ende erklingt nur mehr Luciano Pavarottis Stimme mit „Nessun dorma“, womit völlig klar ist, dass das narrative Musiktheater auch John Cage's „Ende aller Opern“ mühelos überlebt hat.

Eine weitere Aufführung der „Europeras 3&4“ findet am Sonntag (25.9.) um 19 Uhr statt – bis dahin gibt es weitere sehens- und hörenswerte Produktionen des neuen FestivalsMusiKunsTheater der Kammeoper Salzburg in der Kollegienkirche – Eintritt frei! Warm anziehen! – www.kammeropersalzburg.com
Bilder: Ensemble BachWerkVokal
Zum dpk-Vorbericht über das Festival MusiKunsTheater
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