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Erinnerungen – und wie sie uns trügen

WINTERFEST / CIRQUE BARCODE

23/12/21 Weiter mit dem Winterfest in der Szene Salzburg: Die kanadische Truppe Cirque Barcode zeigt ihr Themenprogramm Sweat & Ink - ein Beziehungsdramen im Nebel der erinnerten Wahrnehmung.

Von Erhard Petzel

Die Bühne vermittelt von Beginn an düstere, leicht phobische Atmosphäre. Dazu trägt eine Projektionsfläche auf der Rückwand mit Schwarz-Weiß-Sequenzen wesentlich beit. Manche Bilder wecken Assoziationen an die Ästhetik der Stummfilmzeit und an spätere expressionistische Experimente. Dazu kommen Filmausschnitte mit historischer und medizinischer Konnotation, Zahlenmaterial und Stimmungsbilder. Während der zweiten Hälfte der Performance wird ein Countdown mit Stoppuhr-Anzeige zum Treiber des Geschehens. Ein wesentliches Fundament der 75-minütigen Aufführung sind die Musiknummern von Betty Bonifassi. Mit Bild und Ton ist ein strikter Rahmen vorgegeben, der durch das Quartett (Alexandra Royer, Eve Bigel, Eric Bates und Tristan Nielsen) artistisch zu bespielen ist.

Die Kostüme von Kristina Zaveska und die Dramaturgie von Jean-Pierre Cloutier vermitteln WG-Charme. Zwei junge Paare unternehmen Ausflügen zu verschiedenen Schauplätzen. Die traumhafte Grundstimmung ist durch das Lichtdesign Arnaud Belly-Ferris’ und das Grundthema über dem Geschehen bestimmt: Erinnerung. Eric wird von einer Instruktorinnen-Stimme aus dem Off angehalten, seine Erinnerungen abzugeben. Gegen Schluss wird dieser Vorgang als Rahmen abgeschlossen. Erinnerung wird in ihrer Uneindeutigkeit und Manipulierbarkeit abgehandelt und dem Verhältnis zu digitaler Technologie ausgesetzt. Dafür gibt es eine Menge Information. Es wird viel und gerne gesprochen. Für manche Bilder nimmt man sich episch viel Zeit, in inhaltlicher und auratischer Übereinstimmung mit den Songs.

Die akrobatischen Nummern ergeben sich aus den Umgebungen der diversen Szenerien und entwickeln sich als Ballette der Paar- und Gruppenbeziehungen. Szenenabschnitte bekommen in der Projektion ihre speziellen Überschriften. Da sehen wir eine Party zum Wohnungseinstand oder Gesellschaftsspiele zum Kennenlernen. Ein Wutausbruch an der Schreibmaschine aus Liebesfrust entwickelt Rapqualität mit emotionaler Klimax. Eine Pflanze wird zum kleinen Leitmotiv. Spickzettel machen Bürostimmung. Den Erinnernden bestürmt ein alptraumhaft maskierter Geisterreigen. Eine spukhafte Waschszene befreit nicht von den schwarzen Flecken, während auf der anderen Seite auch ganz trivial gegessen wird.

Akrobatisch bleiben die virtuose Ziegelnummer in Erinnerung, auch die halsbrecherischen Salti mit Schraube am russischen Barren, das Teamwork an der Wippe und eine wirbelnde Luftreifeneinlage. Man möchte spekulieren ob man für die bevorstehenden Auftritte in Österreich, also nach zwei Jahren Lockdown, einschlägige Gedanken in die Szenenfolge investiert, um die Assoziationen noch weiter zu verdichten. Die vielleicht bildstärkste Szene ist ein aufgefächerter Laserstrahl, der den Bühnennebel zur wabernden Oberfläche gestaltet, aus der des Körpers Teilfiguren hochsteigen wie die Rheinnixen beim Bade. Die Schatten wirken magisch, der Großteil der Aktion wird unter der Decke gehalten. Unter dem Thema „Vogel“ wird zur Gitarre gesungen, wenn das Gedächtnis zum Gefängnis geworden ist.

Das Zusammenspiel zwischen Individuum und Gruppe als Beziehungsdramen im Nebel der erinnerten Wahrnehmung ist jedenfalls ein spannendes Konzept. Es wurde vom Publikum eindeutig akklamiert – was immer davon auch in uneindeutiger Erinnerung bleiben mag.

Weitere Vorstellungen 23., 27,. 28. und 29. Dezember in der Szene Salzburg – www.winterfest.at
Bilder: Winterfest / Bernhard Müller

 

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