Jede Minute kommt einer zur Welt
SCHAUSPIELHAUS / THE BLACK RIDER
16/09/21 Es ist ein Kultstück, so wie seine (Opern)Vorlage, Webers Freischütz: Ob The Black Rider, 1990 im Hamburger Thalia Theater aus der Taufe gehoben, mehr zur Slapstick-Groteske tendiert oder etwas hintergründiger gefasst wird, das ist die Frage jeder neuen Beschäftigung mit dem Stoff.
Von Reinhard Kriechbaum
Nach zwei ziemlich lärmenden Stunden mit dem Musical von William S. Burroughs, Tom Waits und Robert Wilson im Schauspielhaus Salzburg ist die Antwort klar: Groteske-Flutung mit akuter Dammbruch-Gefahr. Dem endgültigen Ersäufen in Banalität ist man mit Ach und Krach (beides im Wortsinn) entkommen.
Der Teufel wird nicht an die Wand gemalt, er kommt durch den Mittelgang im Zuschauerraum. Mit Megaphon preist er sein Stück an, in dem er der Spielemacher sein wird. Das Märchen vom Freischütz ist eine Steilvorlage in heutiger Zeit. Die Gesellschaft im deutschen Tann, Muster für regionales Klein-Denken, kultiviert die Ausgrenzung von allem und jedem, was unbekannt ist. Es herrscht Ordnung in der Jägerwelt, in der sich tunlichst niemand umtreiben möge, der wesensfremd ist. Schon gar kein Intellektueller vom Schlage eines Wilhelm, auf den der Blick des Förstertöchterchens Käthchen gefallen ist. „Es muss ein Jäger sein, so will's der Brauch – vergiss das Herz, denk an den Bauch“, doziert der Vater. Und der Erbförster Kuno setzt eins drauf: „Wer denkt, taugt nichts als Mann.“ Heutige Populisten argumentieren dann doch etwas feiner, aber aus gutem Grund ist auch ihnen alles Intellektuelle suspekt. The Black Rider ist zwar dreißig Jahre alt, aber ein hellsichtiges Lehrstück gegen Intoleranz.
Wolfgang Kandler ist in der Salzburger Aufführung Wilhelm. Er schaut ein bisserl aus wie das tapfere Schneiderlein. Nur mit den Sieben mag's nicht klappen, von „auf einen Streich“ ganz zu schweigen. Deshalb hat der Teufel – Stelzfuß heißt er hier und Olaf Salzer gibt ihm ausreichend dämonisches Charisma – ganz leichtes Spiel. Getroffen von den getürkten Kugeln fallen die Vögel nur so vom Bühnenhimmel. Eh schon wissen aus dem Freischütz: Mit der siebenten Kugel wird die Angelegenheit prekär. The Last Rose of Summer (einer der Hits aus dem Musical) liegt zuletzt tödlich getroffen da. Das Musical ist brutaler als Carl Maria von Webers Oper, wo die Braut mit dem Leben davonkommt.
Was man erst herausarbeiten müsste: Wilhelm, der in der Inszenierung von Robert Pienz zum andauernden Herumzappeln verurteilt ist, hat sich den falschen Verbündeten gesucht. Er hat den Fehlschuss-Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben versucht. Mehr noch: Er ist selbst zum Jäger-Junkie geworden. Keine Hilfe ist sein Käthchen, die noch kurz vor der Hochzeit jubelt:„Sieht das hier nicht herrlich aus, totes Wild im ganzen Haus!“ Der Teufel hat's ja vorausgesagt und betont es zum Schluss nochmal: Intellektuelle Dumpfbacken, die sich dann doch arrangieren mit scheinbaren Zwängen, sind leichtes Spiel für Populisten: „Jede Minute kommt einer zur Welt...“
Es steckt viel drin im Text, was in der Schauspielhaus-Aufführung allerdings nicht und nicht herauskommen will. Das liegt vor allem daran, dass die Crew auf der Bühne zwar hoch ambitioniert ist, aber all der Slapstick und das durchaus wackere und von Erfolg gekrönte Bemühen, den Musiknummern gerecht zu werden, die meisten Kapazitäten bindet. Da müsste vieles mit bestimmterer Leisheit rüberkommen und zum ernsthaften Nachdenken motivieren. Hier ist deutlich zu viel Bracchial-Komik, und die Mikroport-Technik tut ein Übriges. Das bizarr Komische hat in Robert Wilsons Ur-Inszenierung funktioniert, weil die Schauspieler besser waren und sie das Anliegen trotzdem rüber brachten.
Viel Stimmung macht das Bühnenbild von Ragna Heiny, die auf große, weiße Papierblumen baute und die Försterfamilie (Johanna Egger alsKäthchen, Bina Blumencron als Mutter Anne und Theo Helm als Vater Bertram) in ein von Neonröhren gerahmtes Guckkastenhäuschen mit zeitungs-tapezierter Rückwand setzt. In Marcus Marotte verschmelzen die Rollen von Erbförster Kuno und Herzog. Originell, wie er gelegentlich aus dem Bild an der Zeitungswand Sprüche klopft. Marko Vlatkovic und Bianca Forthofer übernehmen verschiedene kleinere Rollen.
Rechts oben die Band, die quasi das Kapital von The Black Rider liefert: die Musik, die so wunderbar zwischen allen Stil-Schubladen laviert und hier, in der allgemeinen Aufgeregt- und Aufgedrehtheit, gelegentlich an die Tiger Lillies erinnert. Was Besseres kann ihr eh nicht passieren. Jedenfalls viel – echter – Beifall nach der Premiere für Gernot Haslauer und sein Instrumental-Team Franz Trattner, Christian Kronreif, Christian Neuschmid und Roli Wesp. Der Beifall sonst wäre möglicherweise moderater ausgefallen, aber die Claqueure zeigten sich nicht weniger ambitioniert als das ganze Ensemble, das auch von der Choreographie von Jasmin Rituper ordentliich gefordert war. An gutem Willen fehlt es gewiss nicht.