Die Suche nach dem Buch vom Tee
KULTUR – VIRTUELL
18/01/21 Auch wenn das Publikum fehlt ruht nicht der Betrieb am Department für Oper und Musiktheater. Kürzlich wurde eine zeitgenössische Oper, Tea: A Mirror Of Soul von dem chinesischen Komponisten Tan Dun produziert.
Wir reisen in ein sagenhaftes China, in ein sagenhaftes Japan, aber nicht im bequemen Reisewagen der Exotik, wie etwa bei "Turandot", "Madama Butterfly" oder gar "Land des Lächelns"; viel mehr gelingt es Tan Dun, Idiome der verschiedenen musikalischen und dramaturgischen Stile der Peking-Oper mit farbiger „westlicher“ Musik zu einem eigenen, authentischen Stil zu verschmelzen.
„An Tan Dun fasziniert mich der offene Blick auf die Musikgeschichte und alle Genres“, erklärt der Dirigent der Aufführung, Kai Röhrig, „sein neugieriges Interesse fur alle Formen von Musik und Theater sowie seine Lust, sich aus allem, was ihm gefallt, seinen eigenen Kosmos zusammenzubauen.“ Der 1957 in der Provinz Hunan geborene Tan Dun „zitiert, kopiert und imitiert hemmungslos und schafft gerade aus diesem Best-Of-Mix seine ganz eigene Klang- und Ausdruckswelt.“
Während der Kulturrevolution in China musste Tan Dun ab 1974 als Reisbauer arbeiten. Um den beengten Verhaltnissen zu entfliehen, schloss er sich als Violinist und Arrangeur einer Peking-Oper-Gruppe an. In Peking studierte er von 1978 bis 1983 Komposition. Er erhielt die Möglichkeit, an Seminaren bei bekannten Komponisten wie Hans-Werner Henze, Isang Yun und George Crumb teilzunehmen. In den 1980er Jahren zog er nach New York, wo er Kontakte zu Musikern wie Philip Glass, John Cage, Meredith Monk and Steve Reich fand. In den 1990er Jahren entstande seine seine erste Oper Marco Polo, die in München uraufgeführt wurde. Um die Jahrtausendwende schrieb er Tea: A Mirror of Soul“, uraufgeführt als internationale Koproduktion in Tokyo und Amsterdam.
Das Libretto für diese dreiaktige Oper stammt vom Komponisten. Es erinnere sehr stark an der Erzahlweise der Kun-Opera, die lyrische Art der Peking-Oper, weiß der Regisseur der Mozarteums-Produktion, Wolf Widder. „Dann aber gibt es wieder Situationen, die wir aus unserer eigenen, 'westlichen' Operntradition des 19. Jahrhunderts kennen.“ Der Originaltext ist in einem archaisierenden Chinesisch gehalten und komponiert, danach erst wurde er ins Englische übersetzt. „Es war sehr interessant für uns, dass unsere Studenten aus China uns helfen konnten, zu begreifen, wie reich der Vorrat an Metaphern und Bildern – auch Uneindeutigkeiten – im Original ist“, so der Regisseur.
So, wie „Tao“ – das alles durchdringende Prinzip der chinesischen Philosophie – mit „Weg“ oder „Reise“ übersetzt werden kann, befinden sich die Protagonisten dieses Stücks auf der Reise – ganz wörtlich, auf der Suche nach einem Buch und damit zu sich selbst, zur Erleuchtung, zum Sterben-Können. Tan Dun hält die Balance zwischen meditativer Introspektion und der großen, dramatischen Wirkung. „Vorbildfunktion fur Tan Dun hatte bestimmt der japanische Komponist Toru Takemitsu mit seinem neugierigen und unvoreingenommenen Blick auf die zweite Wiener Schule, auf die europaische Avantgarde, auf Chansons, auf Filmmusik“, erklärt der Dirigent Kai Röhrig. Jedenfalls ein äußerst spannendes, musikalisch süffiges und von den Mozarteums-Studierenden wunderbar gesungenes und musiziertes Stück Musiktheater.