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Federleicht in den Abgrund getanzt

LANDESTHEATER / ROMEO UND JULIA

24/02/20 Jugendliche von der Straße und High Society im Palazzo. Die einen im coolen Street- die anderen im steifen Ritter-Look. Zwischen den „Schichten“ aufgerieben ohne Chance auf ein eigenes Schicksal in Selbstbestimmung und Liebe: Romeo und Julia.

Von Heidemarie Klabacher

Die berühmteste und traurigste Liebesgeschichte der Weltliteratur funktioniert – wie alle archetypischen Stoffe – auch als Ballett ganz wunderbar. Besonders, wenn die Musik die von Sergej Prokofjew ist. Seine Ballettmusik zu Romeo und Julia wandert im Grenzgebiet der Epochen schon sehr deutlich auf der Seite der Moderne, vor allem in Hinsicht auf die geradezu radikale rhythmische Komplexität der einzelnen Nummern wie des Gesamtwerks.

Da ist von Anfang an keine „Rede“ von ritterlichen Kämpfen unter Menschen von Adel und nur ganz wenig Geflüster romantischen Schwärmens jugendlicher Verliebter. Sie alle sind Getriebene, die Jungen wie die Alten. Selbst die unbarmherzige, mit tatsächlich unbarmherzig pochender Musik charakterisierte Lady Capulet, ist nichts anderes als eine Gefangene der Konvention. Sie möchte die Tochter zwingen, den farblosen reichen Schnösel zu heiraten, wissend, dass sie Julia ins gleiche Unglück treiben wird, in dem sie selber zur Gefühllosigkeit versteint ist. Die Musik des Grafen Paris ist bei aller farbiger Differenziertheit höfisch-anämisch, und nie wird sie mit der übermütig hopsenden Julia einen gemeinsamen Grundschlag finden...  Es ist immer wieder packend zu erleben, wie die Tragödie allein aus der Musik Prokofjews heraus Farbe und Leben gewinnt. Dass diese Musik vom Band kommt, ist der einzige Wehmutstropfen in dieser überwältigenden Produktion.

Reginaldo Oliveiras Konzeption und Choreographie des Shakespeare-Stoffes pulsiert, bewegt, drängt, nimmt von der ersten Szene an das geradezu beunruhigende Pochen der Musik auf und setzt sie in bewegte Energie um, die stupend zwischen klassischem und zeitgenössischen Bewegungsrepertoire pulsiert. Die Bühne von Sebastian Hannak öffnet Blicke in den Himmel über den Höfen des Palazzos, auf die Decken seiner Salons oder in das Gewölbe der Kirche, das Ganze aber jeweils um neunzig Grad zu Boden gekippt: Allein das sorgt für Abstraktion. Es vermittelt ein Gefühl der Unsicherheit und erzählt von der Sinnlosigkeits des Beharrens auf dem Blickwinkel der Konvention.

Eine vergleichbare Sprache sprechen die Kostüme von Judith Adam, die auf Seiten der Capulets mit Versatzstücken der Mode der Renaisance spielt und auf Seiten der Montagues, die in dieser Lesart eine Gang Jugendlicher von der Straße sind, auf Jeans und Andeutungen aktueller Streetwear setzt.

Das mitreißende Konzept eines Tanzes auf dem Vulkan zeitgenössischer Expressivität wird von den Tänzerinnen und Tänzern virtuos umgesetzt. Die Julia der Márcia Jaqueline ist zunächst ein fröhliches Mädchen, dessen Straucheln auf dem gesellschaftlichen Parkett von den ersten Momenten an die Gefährdetheit der Figur deutlich macht.

Voller Energie gestaltet Flavio Salamanka seinen Romeo: Das ist kein harmloser Jugendlicher, der sich in das erste Mädchen verliebt, das er zu sehen bekommt. Musik und Tänzer zeichnen einen Menschen, der trotz seiner Jugend schon zu kämpfen genug hatte und für den Liebe kein tändelndes Spiel sein kann. Larissa Mota als Amme hat in dieser Lesart eine Hauptrolle, ist sie es doch, die den fatalen Plan mit dem Betäubungsgift ersinnt: Bewegend ihre Verzweiflung, mit der sie vergeblich den alles erklärenden Brief zu übergeben versucht.

Mit Darstellerinnen und Darstellern von solcher Ausdruckskraft kommen auch Dramen der Weltliteratur ohne Worte aus: Harriet Mills als Lady Capulet, Paulo Muniz als Lord Capulet, Iure de Castro als Mercutio und Karine de Matos als dessen Freundin, Diego da Cunha als Benvolio, Klevis Neza als Paris und natürlich Alexander Korobko als Tybalt bieten überragende Leistungen, die über die pure Eleganz und Kraft ihrer Partien hinaus immer auch die Menschlichkeit und Verletzlichkeit ihrer Figuren spüren lassen. Als Tänzer und Tänzerinnen auf dem Ball – in mythologischer Gewandung – sind sie zusammen mit den weiteren Mitgliedern des Ensemble ebenso überzeugend wie als Kampfgenossen auf der Straße oder als Trauernde. Das Fest ist aus, die verkleideten Tänzer ziehen besoffen ab. Da gelingt es der Choreographie von Reginaldo Oliveira mit Witz und Ironie ein paar launige Momente zu vermitteln. Das tut gut in einer bewegenden Aufführung, die so federleicht wie gnadenlos in den Abgrund steuert.

Romeo und Julia – weitere Aufführungen im Landestheater bis 22. Mai – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Admill Kuyler; Anna-Maria Löffelberger

 

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