Die Tonreihen sind Menschen
UNIVERSITÄT MOZARTEUM / OWEN WINGRAVE
22/01/20 Benjamin Brittens vorletzte Oper Owen Wingrave, 1970 als Stück fürs Fernsehen konzipiert, hat ihre Bühnentauglichkeit längst bewiesen. Nun erreichte die Kurzoper endlich Salzburg, in einer rundum gelungenen Produktion der Universität Mozarteum. Man sitzt gute eineinhalb Stunden lang buchstäblich auf der Stuhlkante.
Von Gottfried Franz Kasparek
Owen Wingrave kommt aus einer Offiziersfamilie und verweigert sich. Er will keine Menschen töten, outet sich in einer Militärschule als Pazifist, wird zur Besserung heim geschickt und zerbricht an den starren Ehrbegriffen seiner Familie. Veraltet? Vielleicht in unseren Breitengraden. Noch dazu gibt es da eine zweite Ebene. Owen Wingrave fällt letztlich einer sehr britischen Spukgeschichte zum Opfer. Auf Schloss Paramore gibt es ein Zimmer, in dem ein Ahnherr einen Buben getötet hat, und in dem Gespenster umgehen. Eine Nacht im Zimmer, provoziert durch Owens strenge Braut Kate, endet tödlich. Wer will, kann darin auch das persönliche Dilemma des Komponisten symbolisch überhöht entdecken, wie in The Turn of the Screw und im genialen Schwanengesang Death in Venice. Doch im Vordergrund bleibt das leidenschaftliche Bekenntnis des überzeugten Pazifisten Britten, der selbst ja den Wehrsdienst verweigert hatte.
Regisseur Alexander von Pfeil bleibt diesmal punktgenau bei der Handlung nach einer Kurzgeschichte von Henry James. In einer dunklen hohen Halle (Bühne: Yvonne Schäfer), in zeitlos stilisierten aber im Grunde altenglisch gestylten Kostümen (Michael Hofer-Lenz) werden die Personen exakt gezeichnet und perfekt geführt, ohne aufgesetzte Gags. Das geht unter die Haut, zumal im Graben des Großen Studios, neuerdings „Max Schlereth Saal“ genannt, ein hoch motiviertes Kammerorchester unter der inspirierenden Leitung von Gernot Sahler alle düsteren und lyrischen Farben der grandiosen Partitur erweckt.
Die reduzierte Orchestration von David Matthews erweckt nie den Eindruck einer Reduzierung des Klangs, eher den einer Schärfung, mitunter auch Verinnerlichung. Das wie aus einer anderen Welt kommende Grundmotiv, gespielt von Schlagzeug, Harfe und Klavier, bleibt ja unberührt. Ist diese Musik seriell oder im Grunde tonal? Sie ist beides in einem, wundersam singbar, mit einer Geisterballade im Zentrum, ist einfach geniale Theatermusik von unverwechselbarem Klang. „Man könnte sagen, dass meine Tonreihen die Menschen sind“, meinte Britten dazu. Eigentlich sollte man jetzt alle Musikerinnen und Musiker einzeln aufzählen, so sehr werden sie auch solistisch gefordert, so sehr entsprechen sie dieser Forderung.
Gernot Sahler ist ein vollkommener Theaterkapellmeister, der mit dem Ensemble auf der Bühne atmet. In der besuchten zweiten Vorstellung am Dienstag (21.1.) gestaltete der Salzburger Benjamin Sattlecker die Titelrolle. Bei ihm ist jedes Wort verständlich und er kommt mit leicht geführtem, lyrischem Bariton, den er in magischen Momenten steigern kann, gut über die Runden. Vor allem spielt er mit merkbarer Emphase die Figur und berührt in seiner Mischung aus Mut und Verzweiflung. Während sein Lehrer Coyle (mit schönem Bass Oi Wang) und dessen herzensgute, mitleidende Frau (mit klarem Sopran Sophie Negoïta) Verständnis für Owens Rebellion zeigen, reagiert die Familie mit Entsetzen und Drohungen.
Der tyrannische Großvater und General (Yu Hsuan Cheng), die als original britische eiserne Lady gezeichnete Tante (Julia Heiler), die geduldete entfernte Verwandte Mrs. Julian (Bryndís Guðjónsdóttir) und leider auch deren Tochter und Owens Verlobte Kate (Vera Bitter) ergeben eine Art familiäres Unterdrückungskommando, spielen mit Hingabe ihre Rollen und singen insgesamt auf hohem Niveau. Am Ende sind alle verstört und die Tränen Kates kommen zu spät. Der darstellerisch und stimmlich blendend geführte Charaktertenor Johannes Hubmer ist Owens naiv-idealistischer, spätpubertär agierender, aber wenigstes mitfühlender Kamerad Lechmere, sein mehr lyrisch fokussierter Stimmfachkollege Richard Glöckner, ein zauberhaftes Zimmer-Gespenst mit Armbrust, wird bei seiner romantisch- dunklen Ballade vom klarstimmigen Kinderchor (Einstudierung Wolfgang Götz) atmosphärisch unterstützt. Fazit: Ein großer Opernabend – hingehen, ansehen!