Eine akrobatische Gender-Clownerie
WINTERFEST / DANS TON COEUR
05/12/19 Claire Aldaya kommt als alleinstehendes weibliches Wesen vom Regen in die Traufe in Gestalt von elf Männern. Keine Frage, dass sowas zum Fürchten ist und den ersten Rennmarathon eröffnet, wobei Fehler und Fallen zur Grundausstattung gehören. Immer dabei beim neuen Stück des Cie Acorearco - die Neigung der Menschen zur gegenseitigen Gemeinheit.
Von Erhard Petzel
Schon beim Hereinströmen des Publikums werden schlaglichtartig Szenen zum kommenden Thema erhellt – beim Spechteln durch die Gazevorhänge über Durchgängen, die später Schlupflöcher für Hetzjagden werden und unerwartete Laufscharaden eröffnen.
Die Truppe Cie Akoreacro nahm sich erstmalig einen Regisseur: Pierre Guillois verdichtet die Akrobatik der Truppe zu losen Beziehungsgeschichten, die in der Steigerung der Elemente und in Rückbezügen auf wiederkehrende Motive in freier Variation formale Taktung finden. Witz, Slapstick und bitterironische Clownerie überraschen und unterhalten, die Musiker sind als Agitatoren eingebaut und wechseln situationselastisch ihre Rollen mit den anderen.
Claire Aldaya kommt also vom Regen in die Traufe in Gestalt von elf Männern und gibt Fersengeld. Gegen Schluss wird sie als Superwoman den Kampf-Rumba tanzen.Zunächst wird aber unter Blockflötenklängen die Bühne mit Haushaltsgeräten nicht unfallfrei zugemüllt und mit Blumen maniriert behübscht, womit weitere Leitmotive des Abends eingeführt sind.
Die mutmaßlichen Helden der Arbeit ziehen eine Wand hoch und zelebrieren eine Fließband-Einheit, die ein Teil des Publikums als fliegende und fließend ineinander hakende Teile wahrnimmt, während der andere Teil die Akrobaten-Apparatur hinter den Kulissen schaut. Später wird sich die Situation gerecht umkehren für einen comichaften Ehekrach.
Denn der Bassist (mit Kopf in der Waschmaschine), der Flötist (hat seinen in der Mikrowelle) und der Besen-Beatgeber leiten den Reigen von Paarszenen am häuslichen Herd ein. Die Schwangere und ihre bessere Hälfte werden förmlich auf Händen getragen und durch die zum Teil absurd getürmte Gerätelandschaft geschupft mit Entwicklungsfolgen im Kinderwagen.
Beim zweiten Kind ist das Thema erschöpft, das Ringsymbol wird im Reifen virtuos bespielt und bereitet das glamouröse Wirken einer Drag-Queen vor, die als kapriziöser Spaltpilz aufs Tapet kommt und sich ihren Liebhaber ins Trapez-Lusthäuschen holt. Die Sinne werden von der erotisierten Akrobatik ebenso gekitzelt wie die Imagination durch Lichtspiel erratisiert.
Eine Waschmaschine dient als beängstigend Richtung Publikum schwankendes Männergefängnis, eine besetzte Badewanne als Gegengewicht für eine Reck-Nummer mit virtuosem Luftschwimmer. Immer dabei die Neigung der Menschen zur gegenseitigen Gemeinheit. Die steckt auch im fulminanten Finale: Zwischen Doppelturm und Hochreck wird ein Glamour-Paar gewirbelt und geschleudert, wobei man ihm ganz fies mitspielt nach dem Motto, dass Schadenfreude eben die reinste sei.
Die Mischung aus hochwertiger Akrobatik, eingebaut in mysteriöse Geschichten, mit tänzerischer und musikalischer Clownerie und die geschickte Steigerung der Mittel entwickelt ein faszinierendes Programm mit wohlausgewogenem Spannungsverlauf, das fesselt und begeistert. Und wer etwas zu denken sucht, wird auch durch Anregungen fürs Interpretieren fündig. Entsprechend laut der Applaus.