Des dunklen Vaters Sammet-Nacht
LANDESTHEATER / CARDILLAC
23/04/18 Den Mörder kennt man von Anfang an. Doch wen wird Cardillac noch mitreißen in den Abgrund aus Blut und Gold… Angehaltener Atem in der Oper verdankt sich oft „nur“ der packenden musikalischen Interpretation. Paul Hindemiths Oper „Cardilac“ im Landestheater ist musikalisch brillant und szenisch aufregend wie bester Hitchcock.
Von Heidemarie Klabacher
Stylisch der Beginn auf dem Laufsteg: Es ist offensichtlich ein Kult-Designer, der seine neueste Kollektion mittels gefallener Schwarzer Engel über den Laufsteg schickt. Die Kollektion freilich besteht nicht aus Roben und Gewändern, sondern aus kostbarstem Schmuck.
Gleich hier beeindruckt der erste Kunstkniff von Ausstatterin Stefanie Seitz und Lichtdesigner Eduard Stipsits: Nicht Kolliers und Diademe aus dem Fundus (und sei es aus dem von Chopard), sondern nur geheimnisvoll leuchtende Schächtelchen und Schachteln werden präsentiert.
So wird die der schwarzen Romantik entstiegene Story – E. T. A. Hoffmanns Novelle „Das Fräulein von Scuderi“ aus 1820 liegt dem Libretto zugrunde – schnörkellos modern und staunenswert abstrakt auf die Bühne gebracht. Üppig Blut-Golden fallen gegen Auflösung des Geheimnisses hin die Videos von Philipp Batereau aus. Doch auch hier wird durch raffinierte Verfremdung raffiniert Distanz gewahrt.
Ob tatsächlich eine zitierende Anspielung auf den Vorspann zu James Bonds „Goldfinger“ dabei war? Passend wäre die Assoziation: Im Falle Goldfingers wie Cardillacs ist jemand auf verhängnisvolle Art der Macht des Goldes verfallen. „Aus Erdenklüften, viel dunkler als die Nacht, ist Gold gewachsen.“ Das mystizistisch anmutende, mit seinem konsequenten Artikel-Verzicht oft gewollt archaisierende Libretto von Ferdinand Lion verstärkt eindrücklich den Blut und Gold-Hintergrund.
Paul Hindemiths erste abendfüllende Oper wurde 1926 in der Dresdner Semperoper uraufgeführt. Erzählt wird vom begnadeten Goldschmied Cardillac, der sich nicht von seinen Schöpfungen trennen kann. Alle, die bei ihm ein Schmuckstück kaufen, erdolcht er noch in selbiger Nacht und holt das geraubte Stück seiner selbst zurück.
Dass die Mordserie in aller Munde ist (etwa auch bei der Schmuckpräsentation) – und die Nachfrage nach den lebensgefährlichen Stücken der Kult-Marke „C“ ins Unermessliche steigt, gibt quasi nebenbei ein erstaunlich aktuelles Streiflicht auf unsere heutige Konsum-Gesellschaft.
Die definitiv nicht materielle Motivation, sondern die schwere und tief liegende psychische Störung des mörderischen Genies macht die Faszination Cardillacs aus. Regisseurin Amélie Niermeyer, die im Landestheater bereits „Stormy Interlude“, „Wozzeck“ und „Rigoletto“ inszeniert hat, legt die Psyche dieser komplexen Figur mit feinsten Werkzeugen offen. „Steh still, Seel und spanne nicht die dunkeln Flügel auf“, sagt Cardillac einmal, als er den Mordzwang aufkommen fühlt. Passt wunderbar zu den leitmotivisch auftretenden schwarzen Engeln.
So froh ist dieser Cardillac, dass der junge lästige Mann kein Schmuckstück, sondern „nur“ die Tochter haben will, dass er ihm diese geradezu andient. „Liebt ihr Eure Tochter nicht?“, fragt der Offizier verblüfft. Er ist ebenfalls eine erstaunlich vielschichtige, ja abgründige Figur, will er doch Cardillacs Tochter keineswegs einfach nur zur Frau gewinnen: „Plünderung des Körpers der Geliebten und Vollbesitz der Seele“ ist sein Ziel. Und das blühende Geschäft des Schwiegervaters natürlich... Christopher Lundin lässt die beunruhigenden Facetten dieser Figur stimmlich und darstellerisch bedrohlich aufschillern. Anne-Fleur Werner gibt bravourös Cardillacs Tochter, die sich auch um der Liebe willen nicht „des dunklen Vaters Sammet-Nacht“ entziehen kann – als Figur verletzlich, als Sängerin brillant. Der Meister persönlich wird von Marian Pop mit mitreißendem Charisma und stimmtechnischer Souveränität quasi aus purem Gold getrieben.
In weiteren, kleineren aber die Psychologie von Liebe und Gold raffiniert erhellenden, Partien überzeugen Frances Pappas und Franz Supper als alsbald ermordetes Paar oder Raimundas Juzuitis als misstrauischer Goldhändler. Viel zu tun hat der Chor des Landestheaters, sei es bei der Schmuck-Schau oder später als aufgebrachte Volksmenge – sängerisch wie immer überzeugend und darstellerisch natürlich und glaubwürdig agierend.
Bleibt als musikalische Hauptrolle jene des Mozarteumorchesters zu erwähnen: Der junge Dirigent Robin Davis hat die vielfältigen, oft sehr bemühten Zitate Paul Hindemiths (1895–1963) quer durch die Musikgeschichte mit Bemühen um Klarheit und vorwärtsdrängendem Drive belebt und mit vielen facettenreichen klangsinnlichen Farbwirkungen überrascht und erfreut. Eine gewisse Schwere ist aus Hindemith kaum hinauszukriegen, aber gerade die vielen neobarocken kontrapunktischen Strukturen in der Partitur wurden präzise durchhörbar gemacht. – Ein aufregender, spannender Opernabend. Bester Hitchcock in Musik.
Cardillac - fünf weitere Termine bis 15. Mai im Landestheater – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Landestheater/Anna-Maria Löffelberger