Packerl voller Ängste
TASCHENOPERN FESTIVAL / ZEIG MIR DEIN FLEISCH
27/09/17 Operationstische. Ein Chirurg, der dringend einen Kollegen von der Psychiatrie aufsuchen sollte, den Satz „It could work“ auf den Lippen. Das hat Dr. Frankenstein gerufen, als er das Monster schuf. Harfenklang und Obertongesang…. Fünf zeitgenössische Kurzopern wurden komplex verwoben zum „Taschenopernfestival“ im Republic.
Von Heidemarie Klabacher
Gewalt, Unterwerfung, archetypische Ängste und reale Bedrohungen – etwa durch eine aus dem Ruder laufende Medizin – sind Motive und Themen der fünf Kurzopern beim „Taschenopernfestival 2017“ im Republic.
„Du bist mein Meister, ich bin nur ein Atom, das im Winkel deiner Lippen atmet.“ Dieser beklemmend pathetische Satz fällt in der 16 Minuten kurzen Oper „Painted Love“ der Chinesin Wen Liu. Ihre Miniatur zum Themenkreis Prostitution wird beim „Taschenopernfestival“ weiter atomisiert, die Aufführung unterbrochen mit Helmut Lachenmanns Cellosolostück „Pression“ oder mit der Kurzoper „Gib mir Dein“ von Birke Bertelsmeier.
Das Taschenopernfestival „Zeig mir dein Fleisch. Über den Wert des Körpers“ ist eine Produktion des Vereins „Klang 21“ zusammen mit der „Szene Salzburg“ und dem „œnm . österreichisches ensemble für neue musik“. Im Republic uraufgeführt wurden fünf „Taschenopern“ changierend zwischen Musiktheater, Oper und Performance von Birke Bertelsmeier, Wen Liu, Stephan Winkler und Gerhard E. Winkler, der zwei Werke beiträgt. Es spielt das œnm unter der Leitung von Juan García Rodríguez. Für Regie und Bühnenbild zeichnet Thierry Bruehl.
Die musikalisch, stimmlich und darstellerisch auf stupend hohem Niveau realisierten und komplex ineinander verschachtelt aufgeführten Werke bannen schlagartig die Aufmerksamkeit, ziehen hinein in einen Reigen beängstigender archetypischer Bilder.
Gerhard E. Winklers Kurzoper nach Pirandello „Der Mann mit der Blume im Mund“ für Bariton, Sprecher und Ensemble hebt mit alltäglich-frauenfeindlichem Geplänkel zwischen zwei Gentlemen an und kippt innerhalb seiner 23 Minuten Aufführungsdauer schlagartig in geradezu diabolische Aggression. Winkler zitiert in federleichtem Vorüberhuschen Hitparaden von Gestern und Heute, lässt Walzerfreuden oder einen Bläserchoral à la Gustav Mahler anklingen – und immer wieder brutal das Schlagzeug dreinhauen. Winklers choreographische Studien für Harfe und Performer „Mundbogenrelikte“ sind eine Art Berio’scher Sequenza für Harfe. Am Ende verschlingen die Performer die Solistin.
„Gib mir Dein“, Birke Bertelsmeiers Musiktheater für zwei Sänger, einen Darsteller und Ensemble, ist das opernhafteste Werk, sängerisch tatsächlich „große Oper“ im Kleinen. Inhaltlich kreist es in bizarrem, gekonnt angedeutetem Spitalsambiente um das Thema Kopf- bzw. Körpertausch, basierend auf der Erzählung „Die vertauschten Köpfe“ von Thomas Mann. Auch hier werden moderne Bedrohungs-Szenarien wie beiläufig in den Köpfen aktiviert. Auch die Musik von Birke Bertelsmeier spielt wie selbstverständlich mit Zitaten quer durch die Musikgeschichte, entwickelt aber, etwa durch Obertongesang, einen eigenständigen Charakter.
„Schweres tragend“ hat die Protagonistin in Stephan Winklers kleinem Musiktheater für zwei Sänger, fünf Instrumentalisten und Elektronik auf ein Libretto von Max Goldt möglicherweise einen Finger eingebüßt. „Sie sprach nicht gerne davon.“ Jedenfalls ließ auch diese Opernminiatur ein immer bedrohlicher werdendes Gewaltpotential spüren. - Ein facettenreicher Abend, eine eindrucksvolle Demonstration der Ausdrucksmittel zeitgenössischer Musik wie zeitgenössischer Bühnenkunst.