Das Leben ein Traum. Die Oper auch.
SOMMERAKADEMIE MOZARTEUM / INNSBRUCKER FESTWOCHEN
26/08/16 Frech. Pfiffig. Bunt. Bestörnd schöne, mitreißend gespielte und gesungene Musik, kuriose Story: Drei Stunden barockes Opern-Spektakel ohne Puderstaub und Stelzschritt, jede Minute musikalisch und szenisch ein Hochgenuss: Die Innsbrucker Festwochen gastierten im Großen Studio mit der barocken Opernkomödie „Le nozze in sogno“ von Pietro Antonio Cesti.
Von Heidemarie Klabacher
Lelio verliebt sich in eine Dame, die ohne Reifrock der verkleidete Verehrer der vom gemeinsamen Vormund eingesperrten Schwester ist, welcher Emilia zu heiraten gedenkt, das Mündel des alten Nachbarn, die längst bereut, den geliebten Lelio vergraust zu haben…
Die undurchschaubare Story kommt in zehn Takten von Null auf Hundert, und bleibt mehr als drei Stunden lang im mitreißenden Tempo-Bereich. Die Stränge verschiedenster Verstrickungen und Verwirrungen (natürlich spielen Amme und Diener die Rollen der Fädenzieher) fesseln das Libretto von Pietro Susini keineswegs mit Langatmigkeit, sondern überraschen mit schrägen Wendungen – und werden von der Musik Pietro Antonio Cestis in einen betörenden Reigen geflochten.
Die drei Aufführungen der Opernrarität bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik haben in den letzten Tage Furore gemacht: „Mit der Wiedererweckung dieser Preziose hat das Innsbrucker Festival nicht zum ersten Mal die Schatzgräber-Rolle übernommen“, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Das Ensemble Innsbruck Barock, zusammengesetzt aus Studentinnen und Studenten der Universität Mozarteum unter der Leitung von Enrico Onofri, spielte „mit lustvoller Verve, energetischer Präsenz und überzeugender Akkuratesse“, hieß es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Das junge Sängerensemble, bestehend aus den Preisträgerinnen und Preisträgen des 6. Cesti-Wettbewerbs schlug von der ersten misslungenen Intrige an in seinen Bann. Ein Sopran, ein Mezzo, ein Bariton, ein Bass und eine geradezu sagenhafte Anzahl grandioser Countertenöre und Tenöre bescherten dem Publikum ein wahres Sängerfest. Der Countertenor Rodrigo Sosa dal Pozzo als leidenschaftlicher Flammiro in Frauenkleidern und die hinreißende Arianna Vendittelli als ebenso freche wie tugendhafte Lucinda bildeten Schluss der kaum enden wollenden Folge von Intrigen und Zaubereien, von Zank und Gezicke, das erste glückliche Paar, das zweite die ein wenig blaustrumpfhaft daherkommende Yulia Sokolik als Emilia und der sehnsüchtig (zunächst die falsche Dame anschmachtende) und geschmeidig schmachtende Tenor Bradley Smith als Lelio.
Eine Sonderklasse – darstellerisch und szenisch – bildete der Tenor Francisco Fernández-Rueda als Amme Filandra: Gesangs- und Schauspielkunst auf betörendem Nivau. Buffohafter deftiger durfte es der Bariton Ludwig Obst als Fronzo angehen. Der ein wenig wie ein moderner Transvestit daherkommende Countertenor Konstantin Derri als Scorbio trug die stimmlich durchschlagendsten – ebenfalls hochkultiviert gestalteten – Momente bei. Die alten Herren – der Bass Rocco Cavalluzzi als Pancratio und der Tenor Jeffrey Francis als Teodoro und Zauberer Ser Mosè – brillierten ebenso mit komischem Talent und virtuoser Stimmführung.
Für die mit zahlreichen „modernen“ Versatzstücken temporeiche Regie zeichnet Alessio Pizzech im raffiniert einfachen Bühnenbild Davide Amadei: Kisten im Hafen von Livorno von Hafenarbeitern geöffnet, bieten Einblicke in intime Schlafzimmer und Kammern, und bilden sonst den Öffentlichen Raum. Das Instrumentalensemble Innsbruck Barock sitzt mitsamt dem präzise und wendig artikulierenden Dirigenten Enrico Onofri in einem Boot, in einer Barke, die im Hafen angelegt hat und „Alan“ heißt – nach
Alan Curtis.
Der im Juli 2015 verstorbene Musikwissenschafter Alan Curtis auf Basis der Vorarbeit zweier namhafter Kollegen die Oper „Le nozze in sogno“ erst um 2014 als ein Werk des Innsbrucker Hofkomponisten Pietro Antonio Cesti (1623-1698) identifiziert. Die Oper ist nur einmal im privaten Adelskreis aufgeführt worden, es handelt sich also in den drei Innsbrucker und in den zwei Salzburger Aufführungen um Erstaufführungen nach gut 350 Jahren.