Endstation Gödöllö
REST DER WELT / WIENBER FESTWOCHEN / BLAUBART
22/06/15 Andrea Breth inszeniert im Theater an der Wien Bartóks Herzog Blaubart in Kombination mit Schumanns Geistervariationen. Ein Abend, der teilweise fasziniert und teilweise nur skurril ist.
Von Oliver Schneider
Bei der Kombination von Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ und Robert Schumanns rund zwölfminütigen „Geistervariationen“ erwartet man sich einen kompakten Abend, vielleicht sogar ohne Pause. Bei den Wiener Festwochen dauert die Neuproduktion fast zweieinhalb Stunden. Warum? Weil die Regie-Großmeisterin Andrea Breth im zweiten Teil des Abends noch ein zusätzliches „Schauspiel“ über das Sterben einschiebt, bevor Elisabeth Leonskaja mit sensibler Innigkeit Schumanns Thema mit fünf Variationen in Es-Dur aus dem Off spielt. Angeblich hat eine überirdische Erscheinung – die einen sprechen von Engeln, die anderen von Franz Schubert – Schumann den Gedanken eingegeben. Schumann komponierte das Werk kurz vor dem Ausbruch seiner Krankheit.
Doch fangen wir mit dem „Blaubart“ an. Zeitlos naturalistisch hat die Breth ihn inszeniert, so wie man es von ihr erwartet. Bei vollkommener Dunkelheit rezitiert Gábor Bretz den Prolog auf Ungarisch, was dazu führt, dass man sich auf den gemeinsam mit Andrea Breth zu gehenden Weg einstimmt. Blaubart sitzt vor seinen Türen, während Judith vor dem Esstisch auf dem Boden liegt. Ein Paar in einer Konfliktsituation, das sich auseinandergelebt hat, in dem sich vielleicht die Rollen verschieben. Hinter ihnen schlurft ein alter Mann von Türe zu Türe. Judith zeigt Stärke, will mehr wissen von ihrem Mann und seiner Vergangenheit. Blaubart hält sich verzweifelt die Ohren zu, weil er weiß, dass das Wissen das Ende ihrer Beziehung bedeutet. Doch dann gibt er nach und lässt Judith Türe für Türe öffnen.
Martin Zehetgruber hat die Räume auf einer seiner kongenialen Drehbühnen angeordnet. In der Folterkammer erlebt Judith ihren ersten Schock: am Boden liegt ein Toter, und ein alter Mann versucht vergeblich, auf einem Tisch eine Blutlache zu entfernen. In der Waffenkammer hingegen stehen sieben alte Männer mit dem Gesicht zur Wand. In der Schatzkammer behängt sich Judith wie einen Christbaum mit roten Perlenketten. Der Zaubergarten ist ein Friedhof. Ein alter Mann schaufelt das Grab seiner Frau zu, die auf einem Stuhl sitzt und noch die Blumen von der Beerdigung in der Hand hält.
Judith hat längst realisiert, dass an den Händen Blaubarts Blut klebt und auf sie unweigerlich ein rascher, unnatürlicher Tod wartet. Und doch will sie mehr wissen, öffnet die fünfte Tür, hinter der die Ländereien Blaubarts liegen (würden). Hier wählt Andrea Breth szenisch bewusst einen anderen Weg, denn das von Bartók gewählte strahlende C-Dur ist nur ein Trugschluss, bevor es dunkel weitergeht. Blaubart und Judith liegen auf dem Boden, hell erleuchtet, während es um sie herum dunkel und unwirtlich bleibt. Es scheint, dass sie für einen Moment in ihren schönen Erinnerungen schwelgen, bevor Judith in die Kammer mit dem Tränensee weitergeht. Spätestens hier denkt man an Christoph Marthalers Tristan und Isolde in Bayreuth (2005).
Vor der letzten Türe zaudert Judith, doch nun kann Blaubart es selbst nicht mehr erwarten. Einen Raumwechsel gibt es nicht mehr, er holt seine drei Ex-Frauen herein, die am Ende mit Judith und dem Zusatzpersonal tot am Boden liegen.
Unglaublich stark sind die Bilder, wie sie Andrea Breth und die Protagonisten schaffen. Gábor Bretz präsentiert sich als differenzierter Blaubart, Nora Gubisch als ebenso bestechende Judith. Beide sind in diesem Setting überragende Darsteller, zu denen die zusätzlich auftretenden Schauspielerinnen und Schauspieler eine spannende Ergänzung bilden.
Kent Nagano, der ab nächster Saison Generalmusikdirektor an der Hamburgischen Staatsoper sein wird, leitet das im Graben und zum Teil in den Proszeniumslogen postierte Gustav Mahler Jugendorchester. Hart und kalt lässt er das ausweglose Drama im Einklang mit der Regie erklingen. Das Orchester hat er dabei gut im Griff, was bei den Dimensionen des Theaters an der Wien wichtig ist.
Nach der Pause geht es dann in einem holzgetäfelten Saal im fünfziger Jahre Stil weiter. Das Thema bleibt das Sterben und der Tod. Auf einem Sofa im Hintergrund sitzen die drei Ex-Frauen Blaubarts, die alten Männer sitzen in der Bühnenmitte neben sternförmig angeordneten sieben Radiatoren. Der Teppichboden ist rot, womit die sichtbaren Verbindungen zur Bartók-Oper genannt sind. „Szenen in einem Alterspflegeheim“ könnte der Titel lauten, oder „Hinter den Mauern von Blaubarts Burg“. Die letzte Station vor dem Tod, wobei sich die Frage stellt, ob man den zum Teil doch entwürdigenden Spiegel vorhalten muss. Diese Station ist für die meisten von uns unausweichlich. Ein alter Mann versucht sich nochmals als Stepptänzer. Man hilft sich gegenseitig, redet vor sich hin auf Deutsch oder Ungarisch, wobei vieles nicht verständlich ist und auch nicht sein muss. Banalitäten wie „Ich wasche mich seit Jahren nur mit Kernseife“ sind in dem Stadium die Realität. Wenn endlich die Geistervariationen erklingen, wird es immer dunkler auf der Bühne. Die letzten beiden Variationen erklingen in vollkommener Dunkelheit. Das Ziel ist erreicht.
Zum Nachdenken regt der festspielwürdige Abend an, das muss man Andrea Breth lassen. Wäre der zweiten Teil geraffter, wäre auch dagegen mit den konstruierten Querverbindungen nichts einzuwenden, aber fünfzig Minuten sind einfach zu lang.