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Fallobst bin ich ganz allein

REST DER WELT / WIEN / DIE UNVERHEIRATETE

15/12/14 Eine Wort- und Blutsuppe mit erdigem Beigeschmack, die einen da in Knöchel-Untiefe heftig sprudelnd umströmt - und im Akademietheater ganz gewiss nicht vom Stuhl reißt: Ewald Palmetshofers „die unverheiratete“ ward dort uraufgeführt.

Von Reinhard Kriechbaum

Bedeutungsvoll hat sich „die Mittlere“ an die Bühnenrampe gekauert, bereit, Großes hinauszurufen. Um noch Farbe drauf zu setzen, ist „die Junge“ herbeigeeilt und hat ihrer zum Antiken-Lamento anhebenden Mutter einen halben Eimer Blut über den Kopf geleert. Und da geht es auch schon los: „Ich bin Elektra“, orgelt Christiane von Poelnitz. Diese Facette hat zu dem Zeitpunkt gerade noch gefehlt in der großen Abrechnung mit der Genealogie. Aber ach: „Der Apfel fällt man sagt nicht weit / das ist ein Pech / verfaul nicht weit von ihrem Stamm gefallen ich...“ Derweil versucht im Bühnenhintergrund „die Alte“ (vorerst) vergeblich, auf einen Sessel zu klettern und sich am Telefonkabel aufzuhängen.

Ewald Palmetshofer hat wieder mehr als ausgiebig Text ziseliert, ganz wie es seine Art ist. Ohne Punkt und Komma. Aber dafür mit Sicht auf die halbe Welt in jedem Dreiviertelsatz.

Der Plot nimmt Bezug auf eine historische Begebenheit im tiefen Oberösterreich, haarscharf vor Kriegsende. Wien war eben gefallen, Hitlers Ende nur noch eine Frage von Tagen. Da hat eine Frau das Telefonat eines jungen Soldaten belauscht, der vom Desertieren sprach. Vielleicht es plante, oder auch nur mit dem Gedanken liebäugelte. Genug jedenfalls damals, ihn zu denunzieren und vor ein militärisches Blitzgericht zu bringen. Der Zwanzigjährige büßte mit dem Tod am Strang. Die Denunziantin kam nach dem Krieg dafür zwar hinter Gitter. Die Schuld beschäftigt aber noch Tochter und Enkelin gleichermaßen. Warum tat die Frau das damals? Gibt es so etwas wie Einsicht, Reue?

Das abzuhandeln hat sich Palmetshofer „eine reine Weiberwirtschaft“ (so „die Alte“ einmal über ihr Leben) ausgedacht. Großmutter, Mutter, Tochter. Dazu „4 Schwestern (die Hundsmäuligen)“, die in Gruppenauftritten meist den Prozessverlauf von damals einbringen. Wie Heiligenfiguren haben sie ihre Attribute: Die Tochter (Christiane von Poelnitz) ein Beil. Die Enkelin (Stefanie Reinsperger) ein Akkordeon (oder auch mal eine Schnapsflasche). Und „die Alte“, um die es eigentlich geht? Sie trägt Charisma vor sich her. Dieses liefert nicht der Text, sondern Elisabeth Orth als Darstellerin ganz allein. Die Großmutter, die Täterin – eigentlich eine liebenswürdige alte Dame, wenn auch eine mit Eigensinn und deutlichen Erinnerungslücken. Aber da sind immer ein paar scheinbar hilflose Handbewegungen, wie Auslassungszeichen, die von intakter Erinnerung künden. „Was nützt die Wahrheit, wenn man sie nicht glaubt?“ So schmettert die Alte bohrende Fragen nieder. Und an die Adresse der Enkelin: „Hast deine Wahrheit selber schon...“

Ein großartige schauspielerische Leistung, verschwendet freilich an ein Stück, das nicht wirklich lohnt. Irgendwie wirkt Ewald Palmetshofers Text wie eine Fingerübung des Sprach-Drechslers, der er eben ist. Kein echter Stoff, viel Kunsthandwerk. Dann und wann ein Apercu, das war's aber auch schon: „Ich umarme meine Großmutter und die Postmoderne umarmt mich zurück.“

Ein packender Essay hätte das werden können, ein Dramulett meinetwegen. Aber gleich zwei Stunden zwanzig unter Beschuss von Wort-Kanonaden? Bis die Charaktere entwickelt sind, bis die Geschichte überhaupt in Gang kommt, dauert es. Viel Nebensächliches wird sprach- und selbstverliebt breit getreten.

Palmetshofers sehr ins flächig Breite zerfließender Text delegiert die Frage nach Bühnentauglichkeit definitiv an die Szeniker. Robert Borgmann hat sich einen unbestimmten Bühnenraum ausgedacht mit Erdhäufen, die auch Grabhügel sein könnten und im Lauf des Abends ordentlich umgewühlt und umgegraben werden. Man kann drübersteigen, durchwaten, sich auch selbst drin eingraben. Ein Fauteuil dazwischen, ein Tisch mit Sesseln, eine Flügeltür hinten. Viel Aktionismus, gelegentlich überdreht. Eine Linie, dramaturgischer Sog will sich nicht recht einstellen. Idee um Idee wird abgespult. Die „hundsmäuligen“ Schwestern tragen immer uniforme Retro-Kleider aus unterschiedlichen Zeiten, ihre Auftritte bringen etwas Clowneskes ein – ein Farbklecks mehr. Letztlich zu viel Pinsel, zu viel Keule auch im Szenischen. Wie heißt es doch einmal so schön: „Ein Vorschlag ist ein Schlag mit einem Vorschlaghammer.“ Der Autor und sein Regisseur haben für diesen Abend gar viele Vorschläge.

Aufführungen bis 4. Februar im Akademietheater – www.burgtheater.at
Bilder: Burgtheater / Georg Soulek

 

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