Der Krakeeler mit der sanften Seele
GRAZ / LILIOM
16/03/10 Wie einen Galgenstrick hat er die Schnur eines Gasluftballons um seinen Hals gelegt, ein schlacksiger Guignol, der billige Taschenspieler-Tricks macht: Liliom, hauptamtlicher Herzensbrecher und professioneller Tunichtgut im Doppelberuf.
Von Reinhard Kriechbaum
Ein Gewaltmensch mit ungestillter Sehnsucht nach bürgerlicher Eingliederung. Für Ferenc Molnárs „Liliom“ kommt ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler wie der junge ungarische Theater-Shootingstar Viktor Bodó gerade recht. Das Grazer Schauspielhaus ist für ihn zweite Heimstatt geworden. Mit „Alice“ war er schon 2008 zu den Salzburger Festspielen ins Young Directors Project geladen. Und heuer ist der Vollblut-Theatermann zum Berliner Theatertreffen eingeladen mit seiner wundervollen Grazer Vorjahres-Produktion, Peter Handkes „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“.
In „Liliom“ kann Bodó sich selbst und seine Hauptfigur als Jahrmarkts-Seelen-Seiltänzer einführen. Jan Thümer spielt die Rolle immer eine Spur leiser, hintergründiger, als man es im jeweiligen Moment erwartet. Wie ein Pennäler sitzt Liliom mit Julie auf der Parkbank, nestelt verlegen an seinem Zylinderhut, wenn er ihr anvertraut: „Aus so einem Nichtsnutz, einem Galgenstrick, kann doch noch ein ordentlicher Mensch werden.“ So leise – und doch ein Aufschrei.
Viktor Bodó spielt österreichisch-ungarische Kulturverwandtschaften aus. Das beginnt bei der Live-Musik (Komposition: Klaus von Heydenaber), mit Cymbalom eindeutig ungarisch verortet und im Wiener Walzertakt tändelnd. Julie – Kata Petö – ist eine einprägsam charakterstarke Schauspielerin mit echtem ungarischem Zungenschlag. Die junge Frau fällt, wenn sie leidet, in die Muttersprache zurück.
Viktor Bodó kommt ganz ohne Aktualisierung aus. Wien war damals und ist heute Ostmitteleuropa-Metropole, da braucht man nicht eigens heutigem Kolorit drauf zu setzen. Wo er eher nachhelfen muss: bei der karikaturhaften Überhöhung. Lilioms Selbstmord-Szene ist verdächtig nah am Klamauk, wird aber augenblicklich aufgefangen, wenn Julie den Kopf des Sterbenden streichelt, wenn die beiden einander ihre Liebe versichern. Barockes Maschinentheater, pure Parodie in der himmlischen „Amtsstube“ – das Krasse weicht Szene um Szene größter Ernsthaftigkeit. Viktor Bodó beruhigt im Handumdrehen und zeigt wie unter einem Vergrößerungsglas die Nervenstränge seiner Figuren.
Während Liliom beim Kartenspiel alles einbüßt, badet die bemitleidenswerte Julie armselig im Zuber. Und wenn Liliom erfährt, dass er bald Vater wird, reißt er sich das Gewand vom Leib, steht einen Moment ungeschützt splitternackt da – so als ob er sich selbst versichern will: Familie geschafft, Verkleidung, Verstellung nicht mehr notwendig! Ein bitterer Trugschluss, wie sich zeigen wird.