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Schaut sie euch an, die Küsterin!

 

REST DER WELT / GRAZ / JENUFA

31/03/14 Mehr Kargheit ist fast nicht denkbar auf der Drehbühne: Ein schlichter Tisch mit ein paar Sesseln vorne, ein Bett hinten. Wo sich das (Dorf-)Leben eben abspielt. Das kann in Mähren sein, muss es aber nicht. – In der Grazer Oper spielt man Leos Janáceks „Jenufa“.

Von Reinhard Kriechbaum

555Was ist davon zu halten, wenn Braut und Bräutigam sich unter dem Tisch erstmals wirklich nahe kommen? Sie Stiefmutter der Braut, die Küsterin, steht auf der Tischplatte und segnet mit geradezu hysterischen Gesten diese Beziehung. Und zugleich verflucht sie den Halbbruder des Bräutigams, der Jenufa geschwängert hat. Da suchen die beiden, die eben erst so zaghaft zusammen gefunden haben, augenblicklich das Weite. Ihre Verunsicherung im Augenblick und die Ratlosigkeit ob einer ungewissen Zukunft drückt sich in Gesten und Blicken unmittelbar aus. Was sie nicht wissen können: Die Küsterin hat Jenufas uneheliches Kind im Fluss unter einer Eisplatte ertränkt. Unerträglich war für sie die Vorstellung, dass Jenufas Schande publik würde.

Das Wort „altmeisterlich“ könnte einem einfallen zur jüngsten szenischen Arbeit von Peter Konwitschny in der Grazer Oper: Er erzählt stringent diese Geschichte, deren Fortgang geprägt ist von den unerbittlichen Erwartungshaltungen der Gesellschaft. Da bleibt nicht ein Millimeter Platz für Freiheiten, die gerade die Protagonisten dieser Begebenheit „Aus dem mährischen Landleben“mit ihrem mehr als vagen Happy End so bitter nötig hätten. Darf man Konwitschnys Lösung für das Finale optimistisch deuten? Der Vorhang geht zu bis auf einen kleinen Spalt, die reale Bühnenwelt wird beinah ausgeblendet. Jenufa und ihr Verlobter Laca sind jetzt allein vor dem Vorhang, für einen Moment in einer eigenen, besseren Welt vielleicht. Sie werden – ohne übergroße Erwartungen aneinander – den Schritt in ein gemeinsames Leben wagen. Vielleicht werden sie sich sogar lösen können von der Konvention, die das Denken rundum bestimmt und Jenufa so verheerend mitgespielt hat. Aber das ist Hypothese...

557Die Unerbittlichkeit der Tragödie hat Peter Konwitschny in Graz sehr klar, scharf und plausibel herausgeschält. Das folkloristische Element? Da darf man getrost auf die etwas holzschnitthafte musikalische Interpretation von Dirk Kaftan vertrauen. Der Dirigent hat sich zwar für die Brünner Fassung (von 1908) entschieden, bei der manches im Orchestersatz rauer ist. Aber er lässt dann doch viel Opulenz zu im Grazer Philharmonischen Orchester. Diese „Jenufa“ kommt durchaus in tönendem Cinemascope daher, wodurch im ersten Akt vor allem die Sängerinnen akustisch etwas ins Hintertreffen geraten. Was aber immer deutlich herausgearbeitet ist: wie die Rhythmen slawischer Lieder und Tänze im Untergrund pulsieren. Und die Walzer-Anklänge, wenn Jenufa ihr Neugeborenes im Bett wiegt – ganz wunderbar zu Herzen gehend!

556Die Mezzosopranistin Iris Vermillon hat schon mehrmals an der Grazer Oper gastiert, etwa als Geschwitz (Lulu), zuletzt als Klytämnestra (Elektra). Der Klytämnestra hinkt diese Küsterin jetzt nicht nach – eine Frauenfigur von antik-tragödenhaftem Zuschnitt. Als Kindsmörderin wird die Küsterin schwer an den Selbstvorwürfen tragen. War sie vorher schon verhärmt, so trägt ihr Gehabe ab diesem Moment zunehmend neurotische Züge. Nicht beherrschen kann sie das Flattern der linken Hand. „Schaut sie euch an, die Küsterin“, singt der Chor.

Gal James ist Jenufa, am Premierenabend zu Beginn wenig durchsetzungsfähig, dann kann sie ihre Lyrischen Qualitäten aussingen. Dunja Vejzovic, in den frühen achtziger Jahren Kundry und Ortrud bei Karajans Osterfestspielen, ist die alte Buryja, die einiges Charisma entfaltet als Kartoffel schälende und ihr familiäres Umfeld streng beobachtende Babuschka.

Die um Jenufa buhlenden Brüder Steva und Laca: Taylan Reinhard ist der Frauenheld und Trinker Steva, ein sicherer lyrischer Tenor. Ales Briscein als Laca bringt, wo geboten, metallische Höhen ein, er ist ein wundervoll gerundeter Tenor mit slawischem Timbre.

Aufführungen bis 15.6. - www.oper-graz.com
Bilder: Grazer Oper / Werner Kmetitsch

 

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