Thomas, schreibe nicht darüber!
REST DER WELT / GRAZ / HOLZFÄLLEN
13/01/14 Drängen lässt er sich gar nicht, der polnische Theatermann Krystian Lupa. Thomas Bernhard ist seine Leidenschaft, ihm gilt sein missionarisches Bewusstsein.Und so stellt sich nicht erst Punkt halb zwölf, nach geschlagenen vier Stunden, im Grazer Schauspielhaus das Gefühl ein, jede der 320 Seiten des Romans „Holzfällen“ doppelt gelesen zu haben.
Von Reinhard Kriechbaum
Passt aber schon. Man könnte mit weniger Lohnendem ebenso viel Zeit verbringen. Aber die Wechselbäder sind erst mal wegzustecken, denn dieser Theaterabend kippt immer wieder aus der brillant-geschärften Burleske ins Zerdehnte, aus dem Humoristischen ins Bedeutungsschwangere. Starke Typen sind auf der Bühne, und doch heißt es immer wieder tief einatmen und durchtauchen.
Für Österreich hat „Holzfällen“ nach wie vor besonderen Klang: Jedermann erkannte 1984 – als Thomas Bernhards Roman bei Suhrkamp erschien und gleich wieder für kurze Zeit aus dem Verkehr gezogen ward – damalige Wiener Künstlerprominenz. „Eine Erregung“, Attribut des Romantitels, schwappte verkaufsfördernd hoch.
Ein Abendessen ist angesagt. Nicht irgendeines, sondern ein „künstlerisches Abendessen“. Ein „durch und durch künstlerisches“ sogar. Da ist also das Ehepaar Auersperg – er hat es als Komponist zu nichts gebracht, sie als Sängerin ebenfalls zu nichts, aber sie haben viel Geld und scharen Künstler um sich: die Schriftstellerinnen Jeannie Billroth und Anna Schreker, den Maler Albert Rehmden, und noch ein paar andere. Der Ehrengast des Abends, „der Burgschauspieler“, lässt auf sich warten. Viel Zeit für den Dichter Thomas, Galle abzusondern.
Hinter einem Glas-Raumteiler versammelt sich die Gesellschaft und sagt wenig Essentielles. Aus dem Ohrensessel heraus murmelt der Beobachter seine ätzenden Bemerkungen. Überhaupt murmeln alle. Krystian Lupa hat der Personnage auf der Bühne des Grazer Schauspielhauses Microports verpasst. Es bleibt bei Wohnzimmer-Lautstärke (nicht unanstrengend, das Zuhören). Die Leisheit wirkt aber wahrhaftig, weil sowieso ein jeder nur mit sich selbst beschäftigt und die Gesellschaft ja auffallend sprachlos ist. Nur manchmal krakeelt der versoffene Hausherr.
„In Wien sitzen Gebliebene“, lässt Thomas Bernhard seinen Ich-Erzähler beobachten, in der Stadt, die in seinen Augen sowieso eine „Genievernichtungsmaschine“ sei, eine „Talentevernichtungsanstalt“ sondergleichen. Die Bernhard-Tiraden sind Legende. „In Wien gescheiterte Kunstleichname“ waren an diesem Vormittag hinter einem Sarg mit einer echten Toten hinterher geschlurft. Diese Joana, die sich erhängt hat, taucht in der Grazer Bühnenfassung von Krystian Lupa als Wiedergängerin auf. Verena Lercher gibt ihr Zartheit, Natürlichkeit, Leisheit. Thomas (Johannes Silberschneider), der große Kunstgesellschafts-Nörgler, verlässt seinen Ohrensessel, wenn sie, die untote Chimäre, auftaucht. Da steckt er sogleich jeden Sarkasmus weg. Macht eine Zeitreise in ihr schäbiges Kabuff am Sebastiansplatz. Macht sich auf die Suche nach dem Tonband mit dem Hörspiel „Die nackte Prinzessin“ – Synonym für (etwas platte) künstlerische Aufrichtigkeit.
Da spinnt der Regisseur und Bühnen-Fasser Krystian Lupa die Geschichte weiter, wie überhaupt er sehr entschieden im Lauf des überlangen Abends die Aufmerksamkeit hin lenkt auf die Ambivalenzen, auf versteckte Sympathien. Fast sentimental gemalt wirkt Thomas' Hassliebe auf die Gesellschaft. Krystian Lupa hat seinen Bernhard da wirklich am feinen Nerv gepackt.
In Johannes Silberschneider (der gefragte österreichische Filmschauspieler ist Gast im Grazer Ensemble) hat man einen starken Charakter, der seine Augen immer wieder kampflustig funkeln lässt. Grantelndes Österreichisch ist seine vokale Grundfarbe. Die Aufführung bekommt damit – und das ist bemerkenswert in dieser Theaterarbeit eines polnisch-züngigen Teams – einen ausgeprägt regionalen Touch.
Toll, die Bühnenlösung: Zuerst steht des Raunz-Dichters Thomas' Fauteuil abseits. Durch einen gläsernen Raumteiler beobachtet er die Gesellschaft im Salon. Die Bühne wird dann gedreht, und die Ledersofas verlieren sich in fast erschreckender Weite. Mit der Kunst ist der Zusammenhalt dieser vor einem Vierteljahrhundert noch eng zusammen geschweißten Menschengruppe verloren gegangen. Erst zum Essen sitzen sie bei Tisch so eng zusammengepfercht, dass kaum serviert werden kann. Plattensee-Fogosch. In dieser Episode führt der Burgschauspieler das große Wort: Stefan Suske deklamiert hinreißend hohl. Später holt der Hausherr Gerhard Auersperg (Franz Xaver Kratz) volltrunken aus und schließlich monologisiert auch Albert Rehmden: Gerhard Balluch gibt diesem Abbild des Malers Anton Lehmden abgeklärt-posthumen Anstrich. Man wartet eigentlich einen Abend (vergeblich) drauf, dass er sich zum Widerpart oder Sympathisanten des Dichters Thomas aufschwingt.
Alle Tricks werden angewandt, um das Dramatisieren über die Stunden dann doch ein wenig abwechslungsreich zu machen. Joanas Begräbnis, der anschließende Leichenschmaus und andere Episoden werden projiziert. Irgendwie von sich selbst beschämt macht sich die Gesellschaft schließlich davon. Ein verlogenes Küsschen von Thomas für die Gastgeberin (Steffi Krautz als Maja Auersperg): „Thomas, schreib nicht darüber!“, gibt sie ihm mit auf den Weg. Versöhnliches aus Dichtermund, aus dem Off, während die Idealfgur Joana, zu deren Gedächtnis man eigentlich zusammengekommen zu sein vorgegeben hat, in seinem Ohrensessel Platz nimmt. Kommt die Kunst dann doch auf die ihr zustehenden Plätze? Egal. Herzlicher, aber erschöpfter Beifall eines gesäßmäßig deutlich überstrapazierten Premierenpublikums.