Von Opfern und denen, die gescheit reden
REST DER WELT / GRAZ / NIEMANDSLAND
10/10/13 Palästina, Syrien, Bosnien – Kriegsschauplätze, die uns geographisch unterschiedlich fern, aber medial nahe sind. Viele leisten sich eine Meinung dazu, meinen es vielleicht sogar gut. Sind aber diejenigen, die sich zu Wort melden, auch jene, die das Wesentliche zu sagen haben?
Von Reinhard Kriechbaum
Der Journalist Fabian, einer der Protagonisten in dem im Grazer Schauspielhaus uraufgeführten Stück „Niemandsland“ von der israelischen Autorin Yael Ronen, schreit es einmal hinaus: Auch manche in seiner Zunft seien Kriegsprofiteure, schreiben über Länder, in denen sie nie waren, und über Schicksale, die sie nur vom Hörensagen kennen. Nicht viel besser kommen politisch engagierte Studenten und Künstler weg: Leyla engagiert sich übereifrig als Friedensarbeiterin in Palästina. Ihr Halbbruder Milos schlüpft als Schauspieler in die Rolle eines serbischen Kriegsverbrechers, der sich an bosnischen Frauen vergangen hat. Was er zu dem Zeitpunkt nicht ahnt: seine Halbschwester Leyla ist bei einer solchen Vergewaltigung gezeugt worden. Und Milos' Vater war eben einer der Täter damals.
Tollkühn konstruiert Yael Ronen eine Geschichte, deren Protagonisten völlig unterschiedliche Biographien haben, aber doch miteinander fatal verknüpft sind. Diese Figuren irrlichtern zwischen Graz (das Stück ist ein Auftragswerk fürs Schauspielhaus), Palästina und Syrien.Beruflich oder privat sind sie mit dem Thema Krieg, Migration befasst.
Eine gibt nichts von sich preis: Azra, die Mutter von Yasmin und Milos. Sie ist offenkundig schwer psychisch ramponiert und zieht sich in sich selbst zurück, flieht in die bessere Fernseh-Welt der Soap Opera.
Yael Ronen geht sogar so weit, zwei „echte“ Opfer einer Kriegssituation auf die Bühne zu bringen. In der fiktiven Story spielen der Bildhauer Osama Zatar und die Tänzerin Jasmin Avissar (die auch für die Choreographie verantwortlich zeichnet) sich selbst: Die Jüdin und der Palästinenser sind ein Ehepaar, leben in Wirklichkeit in Wien, weil es für sie in der Heimat kein Bleiben gibt. Noch eine Story knüpft die Autorin in diese Geschichte ein: Da gab es 2011 den legendären Amina-Blog. Ein Amerikaner hatte die virtuellen Statements einer politisch engagierten, lesbischen Syrerin erfunden. Im Stück „Niemandsland“ wird ein Grazer Rechtsanwalt zum Autor dieses Blogs gemacht. Die bohrende Frage: Ist es statthaft, mediale Aufmerksamkeit für die politische Lage eines Landes und jene seiner Bewohner auf Basis einer Fiktion zu heischen?
Blitzschnell wechseln die Szenen auf einem mehrgeschoßigen Holzgerüst (Bühne: Fatima Sonntag), das jeden lokalen Bezug vermeidet: Wir sind eben zwischen den Kriegsgebieten, wer seine jeweilige Heimat verlässt, ist eben ein Niemand im „Niemandsland“. Alle anderen glauben alles ganz genau zu wissen, wissen sich im (moralischen) Recht, und glauben, „fundierte“ Meinung absondern zu müssen. Eine ganz fiese Figur ist der mediengeile Rechtsanwalt, der nur in homöopathischer Dosis Zeit für jene aufbringt, die doch so sehr auf seine Hilfe hoffen.
„Niemandsland“ ist eine spannend erzählte, aber durch und durch fiktive Story. Undenkbar, dass all die Protagonisten in dieser Konstellation im echten Leben zusammen kämen. „Echt“ aber ist das Engagement der Autorin, was die Empathie für die Opfer angeht: Schützt sie vor den wohlmeinenden Friedens- und Leidbewältigung-Aposteln! Versucht ihnen zuzuhören - auch wenn sie kaum in der Lage sind, frei heraus vom Erlebten zu erzählen und ihre psychische Situation zu thematisieren.
Und was auch immer wieder anklingt: Bewältigung von Kriegs-Traumata ist nicht nur Sache der direkt betroffenen Generation, sondern auch der Nachgeborenen. Zu schnell, so heißt es in einer Szene, akzeptieren sie das Schweigen und setzen die fatale Sprachlosigkeit fort.
Aufführungen bis 30. November - www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma