Che Guevara als lustiger Witwer
REST DER WELT / GRAZ / RITTER BLAUBART
24/06/13 Elisabeth Kulman, die muss einem passieren als Blaubart! Fünf Ehefrauen hat er sich durch Mord vom Hals geschafft, und eigentlich schielt der charmante Schurke hinter der coolen Sonnebrille, eben erst verheiratet mit Boulotte, bereits nach der siebenten…
Von Reinhard Kriechbaum
Jacques Offenbachs „Barbe-Bleue“ (Ritter Blaubart) unter Nikolaus Harnoncourt bei der Styriarte in Graz. Da steckt also der lüsterne Knabe mit aufgeklebtem Rauschebart und verführerischen weichen Tenor (Johannes Chum lässt die bizarrsten Koloraturen nur so strömen) im Kostüm eines Freischärlers. Blaubarts Waffenarsenal degradiert den König Bobêche zum Hampelmann, der sein Mini-Krönchen trägt wie eine Narrenkappe. Dieser Bobêche hat freilich auch fünf Menschen auf dem Kerbholz. Wer sich der Königin nähert, wird augenblicklich als vermeintlicher Nebenbuhler beseitigt.
Die Särge in beider Herren Keller sind also gut belegt – freilich mit Untoten, denn wir sind schließlich nicht in Bartoks schwülem Symbolismus-Musiktheater, sondern bewegen uns im leichten Tanzschritt einer glutvollen Pariser Operette. Blaubarts Kammer-Quacksalber Popolani hat den Todeskandidatinnen bloß Schlafpulver gereicht und so im Grabkeller einen Harem ganz für sich allein geschaffen. Auch des Königs Premierminister Oscar denkt nicht im Schlaf daran, die Todesurteile zu vollstrecken. Allen steht ein glückliches Ende mit einer Multi-Hochzeit bevor.
Auf Offenbach-Erkundung ist Nikolaus Harnoncourt bei der Styriarte bereits vor zehn Jahren mit der „Herzogin von Gerolstein“ gegangen. Vor zwei Jahren hat er Smetanas „Verkaufte Braut“ auf ihre Tanzkünste examiniert. Nun wird das Tanzschritt-Vokabular des „Barbe-Bleue“ mit der Harnoncourt eigenen philologischen Genauigkeit durchdekliniert. Zwischen Polonaise und Cancan, mit viel Walzer-Charme. Wie nahe Offenbach und Johann Strauß einander doch stehen – aber noch viel ergiebiger ist Harnoncourts ur-musikalische Analyse der Tanzpatterns deshalb, weil sich so etwas wie eine multilaterale Tanz-Geographie ergibt, mit mancher Pariser Importware aus Osteuropa.
Das also setzt Harnoncourt aufs Delikateste um mit dem Chamber Orchestra of Europe, dessen Bläser er ganz nach vorne, an seine Rechte geholt hat. Der duftige Tonfall dort, wo andere es bei Offenbach vorlaut rasseln lassen, nimmt schon in der Ouvertüre augenblicklich für sich ein. Natürlich: Martialisch geht es auch zu, nachgerade unheimlich im dritten Akt, wenn wir uns zwischen den Särgen der vermeintlich toten Ehefrauen wiederfinden und Herzdame Nummer sechs, Boulotte alias Elisabeth Kulman, eine unerschrockene Männer-Eroberin mit „stoasteirischem“ Slang, kurzzeitig sogar wirklich glauben muss, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Da macht Harnoncourt und macht vor allem diese begnadete Mezzosopranistin deutlich, wie raffiniert Jacques Offenbach an der Grenze zwischen leichter Muse und Oper – gibt es eigentlich wirklich einen Unterschied? – lavierte. Feine Brechungen der Stimmung und gleich wieder pointierte Ironie: Die Ohren werden dreieinhalb (!) Stunden lang gefesselt.
Auch das Auge bekommt zu tun, vor allem wegen des Bühnenbilds, das Regisseur (und Sohn des Dirigenten) Philipp Harnoncourt selbst designt hat. Nichts als eine Holzwand mit fünf hohen, schmalen Durchlässen. Darauf kommen Projektionen und teils bewegte Bilder, die anmuten wie Collagen. Sonst kommt man auf der seitlich des Orchesters vorgezogenen Bühne mit ganz wenigen Versatzstücken aus. So deftig da auf der Bühne parodiert und ironisiert wird – die Musik Offenbachs trägt und verbindet.
Elisabeth Kulman fühlt sich sichtlich wohl in der Rolle der Aufmischerin in einer dekadenten Männerwelt. Ur- oder Flintenweib, wer wollte das entscheiden? Herrlich jedenfalls, wie sie über die Bühne fegt und bei allem Temperament ihre bestens fokussierte Stimme immer kontrolliert, in bester klanglicher Ausgewogenheit zum Orchester einsetzt. Da wird nicht nur eine Sängerin „begleitet“, das ist vokal-instrumentale Kammermusik vom Feinsten – im szenischen Sauseschritt.
Bestens gecastet das sängerische Umfeld. Der extrem fließende Tenor von Johannes Chum für die Titelrolle ist ein pikanter Widerspruch zum vermeintlichen Rollenbild eines Don Juan, der über Ehefrauenleichen geht.
Es wird französisch gesungen, die Dialoge sind deutsch (glücklicherweise übertitelt, angesichts einer doch recht polyglotten Protagonistenschar. Sébastian Soulès ist der Alchemist Popolani (dienstbarer Geist von Blaubart bei Zuführung und Entsorgung der Gesponse), Thomas E. Bauer der Kollege von der Gegenseite, Le comte Oscar – beide sind nicht bloß „lustige“ Figuren, sondern auch Menschen und werden von Nikolaus Harnoncourt mit entsprechenden musikalischen Zwischentönen gestützt. Elisabeth von Magnus ist als Reine Clémentine eine grelle Parodiefigur.
Sophie Marin-Gregor ist die Schäferin Fleurette, die sich – als Königstochter erkannt und an den Hof zurückgeholt – postwendend in eine herrschsüchtige junge Dame verwandelt. Der Schäfer Saphir (Markus Schäfer), in Wirklichkeit natürlich auch ein Prinz, wird als ihr Gatte vielleicht dereinst Mordgelüste entwickeln wie Blaubart.