Österreichisches aus einem Schweizer „Musik-Garten“
REST DER WELT / ST. FLORIAN / H.I.F.BIBER-WETTBEWERB
02/05/13 „Wir wollen keine alte Musik hören“, ist der erste Satz auf der Homepage des Internationalen H.I.F.Biber-Wettbewerbs, der im Zweijahrsrhythmus im oberösterreichischen Stift St. Florian stattfindet. Originalklang ohne „alte“ Musik? Sitzen wir im falschen Zug?
Von Reinhard Kriechbaum
Im Gegenteil, der Zug stimmt. Und er ist auch gut auf Schiene. Die Intention des Wettbewerbsleiters, des österreichischen Geigers Gunnar Letzbor, ist gerade eben nicht das museale Schaustellen von Musik. Mit dem Wettbewerb, der soeben zum dritten Mal stattgefunden hat (von 29. April bis 1. Mai) sollen Solisten und Ensembles motiviert werden, nach vergessen Werken zu suchen, vor allem im reichen Fundus österreichischer Barockmusik. Bei der Jury-Bewertung gibt es nicht nur Noten für die üblichen Parameter künstlerischer Gestaltung, sondern auch für die „Österreich-Komponente“, für „Neue Literatur“ (also für gehobene Schätze) oder für innovative Interpretationsansätze.
Elf Ensembles und dreizehn Solisten (Geiger, Cembalisten, aber auch ein Gambist und ein Blockflötist) sind diesmal angetreten. Viele haben tatsächlich „neue“ Werke im Umkreis von Biber/Muffat/Schmelzer/Fuchs aufgespürt. Die Archiv-Vorräte etwa im mährischen Kremsier, einer der feudalsten bischöflichen Schlossanlagen in Mitteleuropa, scheinen unerschöpflich zu sein. Der typisch österreichische Geigenstil der Epoche mit seinen immensen technischen Ansprüchen wird gerade dann deutlich, wenn man so viele Werke wie bei einem solchen Spezialwettbewerb zu hören bekommt. Anonymi und nie gehörte Komponistennamen zuhauf!
Zwei Auszeichnungen beim H.I.F. Biber-Wettbewerb gelten speziell diesen „abwegigen“ Aspekten: Der „Weichlein-Preis“ hat seinen Namen von Romanus Weichlein (1652-1706), der in Salzburg bei Biber das Komponieren und Geigenspielen gelernt hat und im oberösterreichischen Stift Lambach und in Säben (Südtirol) wirkte. Mit dem Weichlein-Preis lohnt man die Österreich-Komponente bei der Werkwahl. Er wurde heuer zweigeteilt, je 750.- Euro gingen an die japanische Geigerin Asuka Sumi und an das Ensemble „Girandole Armoniche“. Die drei Italienischen Musiker haben sich beim European Union Baroque Orchestra kennen gelernt.
Der „Aumann-Preis“ heißt so nach dem St. Florianer Klosterkomponisten Franz Josef Aumann (1728-1797) und wird für innovative Leistungen vergeben. Diese Auszeichnung ging zu gleichen Teilen an den franzosischen Gambisten Mathias Ferre und das ebenfalls in Frankreich gebildete „Ensemble Stravaganza“, dessen Programm „Concert at the Habsburg Court“ ist in Frankreich sogar schon auf CD gepresst worden.
Ein Schweizer Ensemble mit dem hübschen Namen „Der musikalische Garten“ hat den Hauptpreis, den mit 1.500 Euro dotierten H.I.F. Biber-Preis bekommen. Im „musikalischen Garten“ von German Echeverri Chamorro (Violine, Bratsche), Karoline Echeverri (Violine), Daniela Niederhammer (Cembalo, Orgel) und Annekatrin Beller (Violoncello) blühen besonders viele Streichinstrumente in unterschiedlichen Saiten-Stimmungen. „Scordatur“ haben solche speziell in der österreichischen Literatur des Hochbarock beliebte Experimente geheißen, die spezielle Effekte bringen (Bibers „Rosenkranzsonaten“ sind das prominenteste Beispiel dafür). Diesen klangsinnlichen Möglichkeiten spürt das Schweizer Ensemble lustvoll nach, mit nicht wenig Temperament, aber gleichzeitig bewundernswert stilkundig. Die Mitglieder des Ensembles „Der musikalische Garten“ sind Studenten und Absolventen der Schola Cantorum Basiliensis. Basel ist allemal ein guter Ort, um Gleichgesinnte zu finden.
Überhaupt: Die internationale Durchmischung der Ensembles ist unterdessen kennzeichnend für die Alte-Musik-Szene. Ein Australier (Brendan O’Donnell), der in Salzburg bei Dorothée Oberlinger die höheren Blockflöten-Weihen anstrebt; eine Russin aus Sibirien (Ksenia Ovodova), die es derzeit zu Alexei Lubimov nach Moskau, aber auch zu Wolfgang Brunner nach Salzburg zieht – das ist überhaupt nichts Außergewöhnliches mehr.
Ein ansehnlicher instrumentaltechnischer Level, aber auch akkurate stilkundliche Informiertheit sind unverzichtbar, und diese Voraussetzungen haben die allermeisten Kandidaten eingelöst. Das ließ oft staunen in der Zusammenschau, die ein solcher Wettbewerb ermöglicht.
Gunnar Letzbor bei der Verkündigung der Preisträger: Die Qualität der Kandidatinnen und Kandidaten sei heuer „extrem hoch“ gewesen, vor allem habe sich „die geistige Komponente“ deutlich gesteigert gegenüber dem vorangegangenen beiden H.I.F.Biber-Wettbewerben in St. Florian. Damit meint Letzbor die inhaltlich/stilistische Auseinandersetzung mit dieser doch in ihrem Ausdruck sehr eigenen Musik.
Der H.I.F. Biber-Wettbewerb ist ganz gering nur dotiert. Der „Mehrwert“ für alle Kandidaten sind die ausführlichen Jury-Gespräche. Zehn Minuten und mehr nimmt sich die Jury zeit, und jeder der Beurteiler lässt die Musiker seinen individuellen Eindruck wissen - und da geht es nicht nur ums Technische und um den Stil, sondern auch um das Auftreten, um den Kontakt zu den Zuhörern. Solche unmittelbare Rückmeldungen bekommen Musiker ja sonst viel zu selten.