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Ein buntes Höllenfest vom Krieg

REST DER WELT / WIEN /  MATHIS DER MALER

209/12/12 „Mathis der Maler“ von Paul Hindemith überzeugt am Theater an der Wien in einer naturalistischen Umsetzung von Keith Warner mit dem großartigen Wolfgang Koch in der Titelrolle und den Wiener Symphonikern unter Bertrand de Billy.

Von Oliver Schneider

Paul Hindemith, an dessen Musik die Nationalsozialisten in Deutschland rasch keinen Gefallen mehr fanden, hat mit seinen beiden zentralen Musiktheaterwerken auch nach dem Krieg kaum noch Platz auf den Spielplänen gefunden. Für eine Wiener Aufführung von „Mathis der Maler“ muss man lange in den Aufführungsregistern blättern. Deshalb ist die Neuproduktion im Theater an der Wien mit viel zu wenigen Wiederholungen von vorneherein ein Gewinn.

Die Drehbühne wird von der dreidimensional nachgebildeten gekreuzigten Christusfigur des geschlossenen Isenheimer Altars von Matthias Grünewald dominiert (Bühne: Johan Engels). Der britische Regisseur Keith Warner erzählt geradlinig und naturalistisch die zum Teil historisch verbürgten, von Hindemith für eine bessere Bühnenwirkung etwas zurechtgebogene Entstehung des Altars. Historisierende Kostüme der Bauern und des Künstlers erinnern an das 16. Jahrhundert, jene der Soldaten sowie der verfeindeten Katholiken und Protestanten an die dreißiger Jahre (Kostüme: Emma Ryott). Doch dem Regieteam geht es damit nicht um eine historische Kontextualisierung im eigentlichen Sinn. Es will auch nicht vordergründig die Biographie Hindemiths aufarbeiten. Es geht um die Darstellung des menschlichen Leids schlechthin, symbolisiert durch die fast den gesamten Abend beherrschende Christusfigur. Exemplarisch manifestiert sich das Leid in den Religionskriegen, wird durch weltliche und geistliche Herrscher ausgelöst, und betrifft den Einzelnen, für den der Maler Mathis als einer unter vielen steht.

Zur Verdeutlichung bedient sich das Regieteam einer üppigen Bildsprache, die durchaus im Einklang mit der klassizistischen, neoromantischen Klangsprache Hindemiths steht. Dass es auch reduzierter geht, hatte Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann im Juni im Opernhaus Zürich gezeigt. In den Kriegsszenen in Wien wird bar jeder Hemmung gemetzelt und vergewaltigt. Dass der Mainzer Erzbischof, Albrecht von Brandenburg, seine menschlichen Bedürfnisse nur schlecht im Zaum halten kann, zeigt eine Sammlung auf der Bühne verteilter eleganter Damenpuppen.

Zu einem bunten Höllenfest wird Mathis‘ Vision, in der er sich in den Heiligen Antonius verwandelt und dessen Versuchungen und Peinigungen durchlebt. Der Jesuskörper viertelt sich, und in der Folge muss sich Mathis wie in Dantes Inferno vorkommen, bis ihn der Heilige Paulus mit den Gesichtszügen des Erzbischofs auf den Weg der Kunst zurückführt.Mathis, von Selbstzweifeln geplagt, hatte sichentschieden, sein abgeschiedenes Künstlerleben im abgeschiedenen Kloster aufzugeben, um mit den Bauern ins Feld zu ziehen. Die Sinnlosigkeit dieses Entscheids und seines Daseins überhaupt erkennend, erreichen ihn der Visions- und Versuchungsszene die Motive des Isenheimer Altars.

Warner beschränkt sich nicht darauf, mächtige Bilder auf die Bühne zu hieven, sondern formt die Protagonisten zu Persönlichkeiten, die ihr Seelenleben nach außen kehren und miteinander interagieren. Und er gibt ihnen Raum zur Entfaltung. Dieser Raum wird auch genutzt, vor allem von Wolfgang Koch in der Titelpartie, der mit seinem durchschlagskräftigen Heldenbariton eine Vielzahl von Ausdrucksnuancen hervorzubringen weiß. Genauso vorbildlich ist seine Textverständlichkeit.

Darstellerisch intensiv gestaltet Kurt Streit den Kardinal und Erzbischof von Mainz Albrecht von Brandenburg, wenn er auch in den dramatischen Aufschwüngen über seine stimmlichen Grenzen gehen muß und sich ein störendes Vibrato einstellt. Das letztere gilt auch für Manuela Uhl, welche die Tochter des reichen Mainzer Bürgers Riedinger ansonsten intensiv singt und spielt. Ihr Vater, ein überzeugter Lutheraner, ist Franz Grundheber, der immer noch mit seinem klangsatten Bassbariton in deklamierenden und ariosen Passagen in jeder Produktion ein beständiger Wert ist. Auch der Rest des Ensembles macht dem Haus alle Ehre, vor allem Charles Reid als diplomatisch zwischen den Fronten agierender Kardinalsrat Wolfgang Capito, Raymond Very als aufbegehrender Bauernführer Hans Schwalb und Katerina Tretyakova als seine Tochter Regina. Ordentlich einstudiert von Blanka Juha?áková präsentierte sich der Slowakische Philharmonische Chor.

Die Wiener Symphoniker entwickeln unter Bertrand de Billy im vergrößerten Orchestergraben ein selbstbewusstes, differenziertes Klangbild. Differenzierter als Daniele Gatti im Juni in Zürich und genauso geschlossen. In den drei Sätzen der früher entstandenen Sinfonie „Mathis der Maler“, die Hindemith zur Ouvertüre und Zwischenspielen umfunktionierte, entlockt de Billy den Symphonikern so viel spätromantische Gefühlsintensität, dass sie neben der Visionsszene zu den Höhepunkten des über dreieinhalbstündigen Abends werden. Über einige Kürzungen hätte man aber gleichwohl nachdenken dürfen.

Weitere Vorstellungen am 22., 24., 22. und 28. Dezember. - www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / PhotoWerk / Werner Kmetitsch

 

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