Russische Seelen, echt und remixed
REST DER WELT / RAIDING / LISZT-FESTIVAL
27/06/12 Gut, dass die Leute mobil sind: Andrei Gavrilov sagte dem Liszt-Festival einen Tag vor dem Konzert ohne Angabe von Gründen ab, Boris Beresowski landete um 15 Uhr in Wien und spielte um 19.30 Uhr in Raiding.
Von Wolfgang Stern
Natürlich gab es eine Programmänderung. Schon die acht ausgewählten Etüden aus den „Etudes d´exécution transcendante“ von Franz Liszt gaben Einblick in das nahezu akrobatische Spiel des 43-Jährigen gebürtigen Moskauers, aber das ist nicht alles: Beresowsky zeigt bei Liszt viel Neigung zur Agogik. Liszt, wie man ihn sich wünscht.
Besonders liegt Beresowsky das Werk von Nikolai Karlowitsch Medtner, der sich zur Jahrhundertwende als Pianist und Komponist durchschlug und unter anderem vom Maharadscha von Mysore unterstützt wurde, ehe er 1948 nach einem Herzinfarkt seine Aktivitäten beenden musste. Seine Märchenbilder gewährten einen nicht alltäglichen Blick auf die russische Klaviermusik der Spätromantik.
Beresowsky wählte auch zwei Werke Ravels, „Gaspard de la nuit“ und „La Valse“. Nicht umsonst hat ihn schon die „Times“ 1988 als „einen Spieler von blendender Virtuosität und gewaltiger Macht“ bezeichnet.
Individualisten begleiteten tags darauf Elisabeth Kulman. Mit „Mussorgsky dis-covered“ (eine CD ist bei Preiser Records erschienen) war Jazziges angesagt. Großartige Instrumentalsten und Arrangeure standen der vielseitigen Mezzosopranistin zur Seite. Die russische Seele lebte auf. Tscho Theissing (Violine), Arkady Shilkloper (Horn, Flügelhorn, Alphorn und Melodica), Antoni Donchev (Klavier - teils präpariert, Melodica) und Georg Breinschmid (Kontrabass) verstehen es Musik zu machen, die anspricht. Ernst und heiter kann nebeneinander bestehen. Tscho Theissing arrangiert geistvoll. Die vier Musiker sind versiert, aufeinander bestens abgestimmt und vermögen mit Blickkontakt spontan viel zu bewirken. Ihr teils improvisatorisches Spiel bewegt sich auf höchstem Niveau. Sie sind perfekte Ergänzung zu Kulmans herrlichem Mezzo. Dieses Programm bezeichnet Elisabeth Kulman „als unglaubliche Bereicherung, ein wichtiges Ventil für mein künstlerisches Tun“.