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Professor Orfeos Psychotrip

REST DER WELT / WIEN / ORFEO

19/12/11 Claus Guth startet mit der Neuinszenierung von „Orfeo“ im Theater an der Wien eine psychologische Entdeckungsreise von Monteverdi. Am Pult des Freiburger Barockorchesters steht Ivor Bolton.

Von Oliver Schneider

altNach der tiefgreifenden Beschäftigung mit Wagner von Hamburg bis Wien und den Da Ponte-Opern in Salzburg nimmt sich Claus Guth in dieser und der folgenden Spielzeit im Theater an der Wien der drei Meisterwerke des am Übergang zwischen Renaissance und Barock lebenden Italieners Claudio Monteverdi an. Er eröffnete den Zyklus letzte Woche mit dem ersten Meisterwerk der Operngeschichte, „Orfeo“.

Wie üblich lassen Guth und sein kongenialer Ausstatter Christian Schmidt auch „Orfeo“ in einem Innenraum als Spiegel für gefangene Seelen spielen. Gewisse Selbstzitate bleiben nicht aus, sollten aber in Zukunft nicht zu einem „Markenzeichen“ werden, wie man sie negativ konnotiert von anderen ihrer Kollegen kennt.

Guth legt seiner Verlebendigung des Werks eine neu erzählte Geschichte zugrunde: Ein Bildungsbürger, belesen, mit großem Interesse für die griechische und römische Mythologie (vielleicht ein Altphilologe?), heiratet in seinen „besten Jahren“ eine jüngere Frau. Die Freunde des Brautpaars veranstalten das Hochzeitsfest im altgriechischen Stil in passender Kleidung. Sogar an die Attrappe eines Tempelportals haben sie gedacht. Die Stimmung ist ausgelassen, bis die junge Frau unerwartet stirbt.

altOrfeos Abstieg in das Reich Plutos, der bei Guth von Anfang an als stummer Vater Eurydices präsent ist, wird zu einem psychologischen Albtraum. Der Tod seiner jungen Frau treibt Orfeo an den Rand des Wahnsinns. Sein mythologisches Wissen um Charon, Pluto und Proserpina führtzu Angst einflössenden Halluzinationen, für die Arian Andiel die auf Friedhöfen und in Orfeos Badezimmer gedrehten Videosequenzen beisteuert. Schlussendlich bleibt Orfeo nur der Griff zu einem Cocktail aus einer Überdosis von in Alkohol aufgelöstem Schlafmittel.

Claus Guths „Orfeo“ ist ein regelrechter Psychothriller, der neben der ausgeklügelten szenischen Lösung mit den Videoeinspielungen ab dem dritten Akt von der starken Personenzeichnung lebt, und vor allem von John Mark Ainsley, der den Persönlichkeitswandel des Protagonisten mit beklemmend machender Wirkung spielt. Sein charaktervoller, kühl und trocken timbrierter Tenor passt ideal zur Zeichnung Orfeos in dieser spannenden Interpretation, die durch die Verlegung in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts an Bodenhaftung gewinnt. Dass Orfeos Ehe mit Euridice zum Scheitern verurteilt ist, drückt das Regieteam dadurch aus, dass Orfeo und sein Haus schon in der neuen Handlungszeit wie aus einem vergangenen Jahrzehnt wirken.

altDie übrigen realen Personen und Traumbilder kreuzen nur episodenhaft Orfeos Schicksalsweg, lösen seelische Erschütterungen aus und werden dank der Präsenz der Darsteller mit scharfem Profil gezeichnet. Zu nennen ist zuvorderst Phillip Ens, der zunächst als stummer Vater mit mahnendem Gesicht auf dem Hochzeitsfest umherschweift, das Schicksal seiner Tochter Euridice vorausahnend. Später wird er zum müden Fährmann Charon, dessen Kahn Orfeo unbemerkt nutzt, um zu den Verstorbenen in der Unterwelt überzusetzen. Schließlich gibt er auch den markigen Gott Pluto, der sich von seiner Frau Proserpina (etwas soubrettenhaft Suzana Ograjenšek) dazu erweichen lässt, dass Orfeo Euridice unter der bekannten Bedingung ans Tageslicht zurückführen darf.

Aus dem im Großen und Ganzen adäquaten, wenn auch nicht überragenden Ensemble, sticht auch Katija Dragojevic mit ihrem klangvollen Mezzosopran, die als Prolog gestaltende Musica, Botin und Hoffnung, die allegorischen Rollen auchschauspielerisch auszufüllen weiß. Die Chorpartien sind beim Arnold Schoenberg Chor in guten Händen – und Kehlen.

Das Freiburger Barockorchester, verstärkt durch das Monteverdi Continuo Ensemble, beweist mit Ivor Bolton am Pult, dass es für das frühbarocke Repertoire ein hochkarätiger Klangkörper ist, der ein sensibles und alle Details beachtendes musikalisches Fundament legt. Hervorgehoben sei auch, wie stark Bolton die Begleitung nicht nur in den Rezitativen zurücknimmt, so dass jedes Wort an diesem Abend zu verstehen ist. Grosser Jubel am Ende der zweiten Vorstellung im ausverkauften Theater an der Wien.

Weitere Vorstellungen am 20., 22., 29. und 31. Dezember - www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Monika Rittershaus

 

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