asdf
 

Italienische Opernromantik pur

REST DER WELT / WIEN / ANNA BOLENA

04/04/11 Dem Jubel des Publikums nach war die Premiere von Donizettis „Anna Bolena“ mit Anna Netrebko und El?na Garan?a in der Staatsoper das Saisonereignis schlechthin. Dutzende von Opernfans, die vor dem Staatsoperneingang noch eine Karte ergattern wollten. Nicht einmal die Schwarzmarkthändler konnten behilflich sein. Zum Glück ist am Samstag in Wien so richtig der Frühling eingekehrt, so dass man den Abend auch live auf dem Herbert von Karajan-Platz verfolgen konnte, ohne zu frieren.

Von Oliver Schneider

altEs war ein purer Genuss, das darf man ohne Einschränkung sagen, mehr allerdings auch nicht und schon gar kein Ereignis. Das fängt bereits bei der szenischen – von Inszenierung mag man gar nicht reden – Umsetzung an, für die Eric Génovèse verantwortlich ist. Ein als Säulenhalle, als Park, Kabinett oder Gefängnis nutzbarer Raum auf der Drehbühne deutet die Handlungsorte an, in dem Protagonisten und Chor das Schicksal der Anna Bolena wiedergeben. Nachdem der englische König Heinrich VIII bereits seine erste Gattin Katharina von Aragon nach 18 Ehejahren verstossen und dafür den Bruch mit der katholischen Kirche vollzogen hatte, verstiess er auch seine zweite Gattin Anna Bolena, um ihre Hofdame Jane Seymour für noch kürzere Zeitspanne zu seiner dritten Gattin zu machen. Drei weitere sollten noch folgen.

Nun, vielleicht keine Allerweltsgeschichte, aber auch nicht so ausschliesslich in der Renaissance verwurzelt, dass man nicht den Versuch einer Interpretation wagen dürfte. Christof Loy hat mit seinen beiden Münchner Inszenierungen von „Roberto Devereux“ und „Lucrezia Borgia“ bewiesen, wie man es machen kann. Eine Deutung wäre natürlich auch in den stilisierten Renaissance-Kostümen, wie sie die Protagonisten und der Hofstaat tragen, möglich (Kostüme: Luisa Spinatelli). Doch leider befragt Génovèse Felice Romanis Libretto weder nach seiner aktuellen Bedeutung, sondern macht den Zuschauer auch glauben, er befände sich in einem italienischen Opernhaus. Von Personenregie kann nicht die Rede sein, noch ärger ist es um die kurzen Ensembleszenen mit den Hofdamen und Höflingen (gut einstudiert von Thomas Lang und Martin Schebesta) bestellt. Das dritte szenische Desaster in Folge nach den beiden Da Poaltnte-Premieren. In der Direktion von Ioan Holender mag auch nicht immer alles gelungen sein, aber solche Rückschritte ins Regie-Steinzeitalter hat es nicht gegeben.

Zum Glück machen die hochkarätigen Solisten einen Großteil des Szenischen vergessen. Vor allem El?na Garan?a als Giovanna Seymour. Sie küsst Enrico VIII gleich, wenn sich der Vorhang zum ersten Bild hebt, womit das Schicksal von Anna Bolena besiegelt ist. Die Garan?a weiß die gegensätzlichen Facetten der treuen Hofdame und ehrgeizigen Nebenbuhlerin perfekt zu verbinden und betört mit ihrer vokalen Fülle und wunderbarem Legato.

Bei der Partie der Anna Bolena muss man zunächst einmal vergessen, welche Massstäbe Edita Gruberova an Expressivität und stupender Koloraturtechnik gesetzt hat. Die Netrebko legt die Partie von Anfang an entsprechend ihren stimmlichen Möglichkeiten dramatischer an. Ihre Anna Bolena ist nicht so sehr die reine, treue Gattin, die stimmlich in ätherischen Höhen schwebt, sondern eine gereifte Persönlichkeit, die sich dem Schicksal mit Kraft  zu widersetzen sucht. Dementsprechend irdisch gestaltet sie auch die Wahnsinnsszene, bevor sie sich aufs altSchafott begibt. Hätte die Netrebko nur einen Regisseur zur Seite gehabt, dann wäre aus der Schlussszene ein großer Moment geworden. Musikalischer Höhepunkt des Abends ist ohnehin das Duett der beiden Rivalinnen, in dem die Seymour ihrer Königin das Verhältnis mit dem König gesteht.

In der Hosenrolle des Smeton, Bolenas Page, der auch in seine Herrin verliebt ist und durch sein falsches Geständnis, mit ihr ein Verhältnis zu haben, den Lauf des Schicksals beschleunigt, reüssiert Elisabeth Kulman als dritte Dame im Bunde mit klangvoller Lyrik. So hochkarätig können die Herren leider nicht mithalten. Ildebrando d’Arcangelo gibt zwar darstellerisch den von Donizetti und Romani eindimensional negativ gezeichneten König souverän. Stimmlich war er aber am Premierenabend zu undifferenziert. Die Rolle des Percy, Anna Bolenas erste Liebe, mit dem sie auch bereits heimlich verheiratet war, verlangt viel Beweglichkeit und auch Koloratursicherheit, sang doch Giovanni Battista Rubini die Partie in der Mailänder Uraufführung 1830. In Wien hat die Partie Francesco Meli übernommen, der zwar über ein schönes Timbre verfügt, aber ansonsten wohl bei anderen Partien besser aufgehoben ist. Dan Paul Dumitrescu als Lord Rochefort, Anna Bolenas Bruder, und Peter Jelosits als Sir Hervey komplettieren das Ensemble.

Evelino Pidò bemüht sich mit dem Staatsopernorchester vor allem um Transparenz und sieht die Rolle des Orchesters – wohl richtigerweise – über weite Strecken auf eine reine Begleitung reduziert. Auch wenn man sich mehr Impulse aus dem Graben wünschen würde, die sensiblen Orchesterklänge gleichen vieles aus, so zum Beispiel im Finale des ersten Akts.  Präzise herausgearbeitet sind auch die Holzbläser in Smetons Romanze zu Beginn des dritten Bilds des ersten Akts.

Weitere Vorstellungen 5., 8., 11., 14. und 17. April. - www.wiener-staatsoper.at
ORF 2 und Arte übertragen „Anna Bolena“ am 5. April zeitversetzt ab 20.15 Uhr.
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014