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„Ich! Kaspar!“

LINZ / OPER / KASPAR H.

01/02/11 Am Samstag (29.1.) wurde in den Kammerspielen des Linzer Landestheaters „Kaspar H.“ von Balduin Sulzer, uraufgeführt. Nach „In seinem Garten liebt Don Perlimplin Belisa“ (1984) und „Proteus“ (1998) ist es seine dritte Oper, die in Linz das Licht der Welt erblickte.

Von Norbert Trawöger

Von eigener Art ist nicht nur die Hauptfigur, die sich an den Archetypus des historischen Kaspar Hauser anlehnt, sondern auch die dramatische Entwicklung dieser Oper. Librettistin Elisabeth Vera Rathenböck hat einen Kaspar unserer Tage geschaffen: Ein autistisches Kellerkind, ein unbelegtes Primzahlengenie, das für seine Umgebung als ideale Spiegelfläche dient. So weit so gut. Dies funktioniert auch, in den direkten Handlungsszenen mit der Kommissarin  - exzessiv gut von Cheryl Lichter dargestellt - oder dem Seelendoktor Daumer, den Dominik Nekel deutlich zu zeichnen mag.

Das Verhängnis dieses Kaspar H. ist nicht nur, dass sich seine Umgebung in ihm spiegelt, sondern der dramaturgische Verlauf immer wieder in die aufgeladene Reflexion über das Geschehene geht. So bleibt dem Zuhörer wenig Platz, um an eigene Räume zu kommen.

In den Szenen in denen die Handlung ins Narrative, Schildernde geht, beginnt der Stoff zu knistern: Wenn Kaspar - phänomenal darstellerisch und gesanglich Matthäus Schmidlechner - seine lautmalerisch sprachlose „Badewannenarie“ anstimmt, katapultiert sich die Oper in dichte Höhen. Oder dort, wo er sich mit seiner Freundin Clara - nicht minder eindrucksvoll Elisabeth Breuer - im „Äpfel, Ipfel, Öpfel“-Liebesduett begegnet, treibt es einem die Röte ins Gesicht.

Balduin Sulzer hat eine Partitur geschaffen, in dem das 16-köpfige Solistenensemble (samt Akkordeon) des Bruckner Orchester seriell pulsierende Seile spannt, auf dem die Sänger balancieren, ihre halsbrecherischen Kunststücke vollbringen und ihre Kantilenen ohne Netz vollführen. Dem formidablen Theaterchor (Einstudierung: Georg Leopold) kommen nicht geringe solistische Rollen zu. Der Verzicht auf Chortenöre zeitigt eine ganz eigene uralt-neue Klanglichkeit. Dennis Russell Davies führt schlackenlos klar durch diese Reflexionsoper.

André Turnheim macht den dramaturgischen Verlauf unwidersprochen mit und lasst über dem Kellerraum von Florian Parbs Fernsehmonitore schweben, die Sequenzen aus Filmen von Spielberg oder Godard zusetzen. Am Ende: Morde von ungerichteter „Kasparhand“ - und Kaspar H. verabschiedet sich mit erhobener Melone mit „Ich! Kaspar!“. Kann der Mensch als Mensch vom Menschen nur enttäuscht sein? Eine neue, musikalisch erstklassig verwirklichte Oper, die auch nach der eigenen Identität sucht.

Aufführungen bis 11. März - www.landestheater-linz.at
Zur Besprechung des Buchs über Balduin Sulzer "Dirigieren fängt beim Sesselstellen an"

 

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