Bankomatkartenwitwen unter sich
REST DER WELT / STEIRISCHER HERBST
05/10/10 Bankomatkartenwitwe. Das wäre ein nettes Wort für ein Ratespiel. Was käme wohl heraus, wenn man das Publikum vorab befragte, was es sich darunter vorstellt? "Tod eines Bankomatkartenbesitzers" in einem Grazer Einkaufszentrum.
Von Reinhard Kriechbaum
"Entschuldigung, können Sie mir Ihre Bankomatkarte borgen?" - Leicht irritierte Antwort einer Passantin: "Warum?" - "Ich hab' keine mit." Das ist freilich eine entwaffnende Antwort. Aber seine Karte hat bei der Premiere des Improvisationsstücks "Tod eines Bankomatkartenbesitzers" im Grazer City Park doch keiner herausgerückt. Und es hat auch niemand seinen Pin-Code verraten.
Das könnte für den Verstand der Menschen sprechen. Oder einfach dafür, das sich an einem späten Freitagnachmittag keiner von den merkantil Besessenen, die da eilenden oder schlendernden Schritts umgehen, gerne aufhalten lässt von seinem Tun. Die meisten pfeifen auf eine theatrale Intervention knapp vor Geschäftsschluss.
Auffallen hätte ja einem jeden müssen, dass Theater im Busch ist. Standen doch entlang der Brüstung im ersten Stock lauter Leute mit Kopfhörern. So hat das Publikum hören können, was drunten, in der Mall des Grazer City Park am Gürtel, gesprochen wurde. Eine etwas lahmarschige Show wurde inszeniert, von einem imaginären Verein von "Bankomatkartenwitwen". Das sind also Leute, die ihre Satisfaktionsfähigkeit bei der Bank und damit ihr Plastikkärtchen eingebüßt haben. Die Outlaws schlechthin beim Chill Out im Einkaufszentrum. Mit solchen will unsereiner lieber nichts zu tun haben.
So weit, so durchschaubar. Der gesprochene Text hinkt den hintergründigen Überlegungen im Programmheft des "steirischen herbst" unendlich weit hinterher. Um nicht zu sagen: er lahmt ganz schrecklich. Wir sollen mit der Nase drauf gestoßen werden, dass Geld die Welt regiert, und dass jene, die keines zur Verfügung haben, total arm dran sind. Eine dieser jämmerlichen Kreaturen bekommt die Mahnung mit, bloß nichts zu kaufen. "Aber schauen wird man wohl noch dürfen", kontert sie pikiert - und "ist schon drin im Don Gil". Aber sie rennt dann doch nur mit leeren Tüten herum, papierenen Placebos des Marken- und Konsumwahns. Eine andere Frau habe, so erfahren wir, immer auf die falschen Männer gesetzt "und selber Schulden gemacht". Jetzt ist sie pleite. Das hat sie davon. Ein Showmaster versucht, ein paar Interviews mit Passanten in Gang zu bringen, mit mäßigem Erfolg. "Sind Sie reich?", fragt er einen Mann, der logischerweise "nein" antwortet. Aber nach kurzem Nachdenken korrigiert, "mittel".
Irgendwie haben sie einem trotz ihrer herzhaften Unprofessionalität Leid getan, die Leute vom Grazer "Theater im Bahnhof", auf das man in Graz hohe Stücke hält wegen des demokratisch-popkulturellen Theateranspruchs. Improvisieren tun sie für ihr Leben gern. Dass sie darin gewitzt oder auch nur routiniert wären, hat sich an diesem Freitagnachmittag nicht im Entferntesten abgezeichnet. Ideen gab es nur in homöopathischer Dosis. Ein jeder Satz kreuzbrav im Denken.
"Es herrscht ein Streben nach Peinlichkeit in Würde", heißt es auf der Website des Ensembles, dort, wo man die hehren künstlerisch-basisdemokratischen Ziele erklärt. "Es geht um die Lächerlichkeit des Menschen und die Lächerlichkeit des/der spielenden Schauspielers/in. Und keine Angst vor scheinbarer Dilettanterie." Vielleicht hat man mit dem "Tod des Bankomatkartenbesitzers" die eigenen Ansprüche sogar übererfüllt.