Zu kalt für den Wolkenturm
REST DER WELT / GRAFENEGG / GATTI, ASHKENAZY
06/09/10 Wenn ein Konzert vom Wolkenturm in das Auditorium verlegt werden muss, dann geht etwas vom Besonderen der Konzerte in Grafenegg verloren. Es fehlt einfach das einzigartige Ambiente.
Von Wolfgang Stern
Am vergangenen Wochenende waren das Orchestre National de France und das Sydney Symphony Orchestra betroffen. Wer musiziert schon gerne im Freien, wenn es zwar nicht regnet, aber die Temperaturen um rund 10 Grad Celsius liegen? Schade, denn gerade auf Mahlers Fünfte im Wolkenturm haben sich sicher viele gefreut. Nun auch das Auditorium ist als Konzertsaal absolut gelungen und ist jedem Orchester ein willkommener und geeigneter Raum zum Musizieren, was die Akustik betrifft.
Beide Orchester haben das Glück, mit guten Chefs zusammenarbeiten zu können. So übernahm Daniele Gatti, der Allrounder und ein bisher gern gesehener Orchesterleiter in der Wiener Staatsoper, 2008 von Kurt Masur das Orchestre National de France, ein Aushängeschild der „grande nation“. Gatti hat heuer bei den Salzburger Festspielen Strauss "Elektra" dirigiert. Vladimir Ashkenazy, der sich in der Zentralschweiz am Vierwaldstättersee niedergerlassen hat, pendelt seit 2009 sogar zwischen Australien und Europa, um sich als quirliger älterer Sir dem Sydney Symphony Orchestra zu widmen. Zwei grundverschiedene Typen waren da in Grafenegg am Werk, auch die Programme könnten nicht unterschiedlicher sein.
Gatti, der sich gerade jetzt besonders des Werks Mahlers angenommen hat, leitete also dessen Fünfte. „In gemessenem Schritt“, so die Bezeichnung zum einleitenden Trauermarsch, setzt er sehr gemessen um, lässt Zeit für die Umsetzung von Details, betont aber auch das leidenschaftlich Wilde. Die Spannung zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk, extreme Steigerungen und Verzögerungen werden bestens herausgearbeitet. Großartig das Adagietto. Man hat das Gefühl, dass sich Dirigent und Orchester gegenseitig zu beachtlichen Umsetzungen steigern können. Die Franzosen müssen keinen Vergleich mit anderen Spitzenorchestern scheuen.
Auch was Vladimir Ashkenazy, der seinerzeit über London und Island emigrierte, mit seinem Sydney Symphony Orchestra bot, war von guter Qualität. Furios und zündend begann dieser Abend mit Dvoráks „Karneval“-Ouvertüre. Im folgenden Konzert für Klavier und Orchester, G-Dur, Maurice Ravels stimmte eigentlich alles. Hélène Grimauds Leichtigkeit und Musizierfreude am Steinway begeisterte, Ashkenazy ließ ihr viel Raum zum Gestalten, das Orchester war mehr als rücksichtsvoll. Der 41jährigen Pianistin, gleichzeitig in diesem Sommer „Artiste Étoile“ beim Lucerne Festival, liegt anscheinend dieses Konzert, in dem sie so richtig als Wirbelwind auftreten kann.
Tschaikowskys Manfred-Symphonie war dann der eigentliche Brocken des Abends. Ashkenazy setzte wirkungsvoll und bestimmt das Seelengemälde um und konzentrierte sich dabei auf ein ausgewogenes Klangbild. Auch hier fruchtet eine Zusammenarbeit, die am kleinsten Kontinent zu einem ernstzunehmenden Faktor geworden ist - und natürlich schon war. „Australia meets Europe, nice to meet You!“