Hütchenspiel in Signas Wonderland
WIEN / VOLKSTHEATER
18/03/24 Calle Fuhr ist ein großer Reality-Erklärer auf der Bühne, und das Wiener Volkstheater in den letzten Jahren eines seiner wichtigsten Spielfelder beim Aufdecken. Gemeinsam mit der Investigativplattform DOSSIER geht es jetzt um den Aufstieg und Fall des Herrn René Benko. Es schwingt durchaus auch Anerkennung für dessen Pfiffigkeit mit.
Von Reinhard Kriechbaum
Tiroler des Jahres, na ja. Unternehmer, Mann des Jahres gar, das klang schon besser. Den Vogel hat seinerzeit das Handelsblatt abgeschossen mit dem Ehrentitel „Stratege des Jahres“. Wie seit Monaten die Schlagzeilen künden, hat René Benko sich aus-strategiert. Wer vergibt die Ehrenbezeichnung „Pleitier des Jahres“? Ist über Benko und sein Firmenimperium schon alles in den Zeitungen gestanden? Vielleicht ja, aber bei der Dimension dieses Firmen-Untergangs ist immer noch was an Recherche und vor allem an Erklärung drin.
Seit vier Jahren arbeiten im Wiener Volkstheater der Schauspieler und Regisseur Calle Fuhr mit der österreichischen Investigativ-Rechercheplattform Dossier zusammen. Da sind Red Bull drangekommen (Die Recherche-Show), die Ölgeschäfte der OMV (Die Redaktion) und Österreichs Ski-Heiliger Karl Schranz (Heldenplätze). Und es wuchs – die Recherche-Journalisten von Dossier waren schon dran, noch bevor etwas vom Signa-Schleuderkurs öffentlich ruchbar wurde – Calle Fuhrs und des Volkstheaters Plan, auch etwas über die sinistre Finanzierung von Benkos Signa herauszukriegen und auf der Bühne herauszustellen.
Eine neue Recherche hieß das Vorhaben noch vage im vor gut einem Jahr gedruckten Jahresprogramm 23/24. Seit Monaten ist nun die Katze aus dem Sack. Der Titel jetzt, Aufstieg und Fall des Herrn René Benko, mag ein wenig banal klingen, aber der Anklang an Brechts Mahagonny hat natürlich auch was.
Die Wirklichkeit hat jedenfalls die Recherche-Vison rasant eingeholt und das Volkstheater damit eine sichere Nummer. Binnen zwei Stunden waren alle Vorverkaufstermine für die in der „Dunkelkammer“ vorgeseheme Produktion ausverkauft. So ist man mit der Premiere in den großen Saal übersiedelt. Auch zwei Folgeaufführungen werden dort stattfinden, und man tüftelt schon an weiteren Terminen. Der Premierenabend hat die Besucher im Wortsinn vom Hocker gerissen. Jubel und Standing ovations.
Sessel und Lesetisch, Karaffe und Glas mit Wasser, zwei große Projektions-Leinwände links und rechts. Haben wir uns in eine Vorlesung an einer Wirtschaftsuni oder in einen Volkshochschulkurs für künftige Anleger verirrt? Wer Calle Fuhr kennt, weiß, dass da eine furiante One-Man-Show kommt, weil der hat ja die Gabe, die Dinge so darzustellen wie evangelikale Prediger in den USA. Infotainment am Punkt.
Die vermeintlich trockene Vorlesung nimmt rasant Fahrt auf. Calle Fuhr an eine Besucherin in der zweiten Reihe: Wenn Sie ein Haus in der Innsbrucker Innenstadt haben und ich Ihnen einen Lift baue, was sagen Sie? Ja natürlich. Dafür krieg ich den Dachboden? Geht ok. Schnell ist das erklärt, was so schön Immobilienentwicklung, Gentrifizierung gar heißt: „Monetarisierung von Lebensraum.“
Von den Innsbruckler Dachböden ist's nicht weit zum ersten Hattrick mit dem Kaufhaus Tyrol und damit rasch der Weg frei zum Kaufhaus des Westens und zum Haus Oberpollinger. Immer sind die rechten Promis aller politischen Couleurs zur Stelle als Politiker, Wirtschaftstreibende, als Kredit-Ermöglicher und Investoren. Pfiffig wird das erzählt, sogar mit einem kleinen Theaterfilm „Signa im Wonderland“, wo die Geld-Königinnen schon mit Millionen-Köfferchen bei Fuß stehen. Ja wenn wir das in der Schule so erklärt gekriegt hätten, vielleicht wären aus manchen von uns Immobilien-Tycoons à la Benko geworden...
Apropos Schule. Calle Fuhr setzt eine Hornbrille auf, mutiert zum Mathematik-Lehrer Haucke. Er zeigt in den Zuschauerraum: „Detlev, kurz die Definition von Leitzins bitte!“ Ups, wir fühlen uns auf dem falschen Fuß erwischt. Gleich wird als Rechenbeispiel das Volkstheater angekauft und die Mietrenditen bei unterschiedlichen Leitzinsvarianten durchgerechnet. Besser siebenunddreißig als sieben Millionen im Jahr – und bald gehört Benko das KaDeWe. Dazwischen Ausflüge zu den „Benko-Boys“, zu denen auch Joschka Fischer, Alfred Gusenbauer und Sebastian Kurz zählen. Erste Sahne an Kanzler-Prominenz.
Die Pleiten von Galeria Kaufhof und Karstadt? Calle Fuhr nimmt zwei Alubecher her, einer steht für die geliebte Tochterfirma „Elisabeth“, der andere heißt „Dörte“. Das ist die wenig geliebte Tochter, da kommen die 32.000 Mitarbeiter rein und jene hunderte Filialen, die bei anderen eingemietet sind. Die satten Covid-Hilfsgelder werden in Form überhöhter Mieten kreativ umgeleitet zur geliebten Elisabeth, während auf der Dörte-Seite zwei Drittel vom Personal abgebaut werden. Heulen möchte man, wenn das so erklärt wird.
Zuletzt noch Calle Fuhr als Hütchentrick-Meister. Mit drei, dann neun Bechern erklärt er, wie das so geht mit einer schöngefärbten Firmenbilanz, mit verschobenen Finanz-Stichtagen und dem einfach nicht gelieferten Konzern-Gesamtabschluss.
Ein anderthalbstündiger Super-Lehrgang in Trickwirtschaft war das, so pfiffig vorgetragen, dass man nur unterschwellig wahrgenommen hat, dass Calle Fuhr sich sorgsam bedeckt hält mit konkreten Anschuldigungen gegen die politischen Ermöglicher. Das wären ja die Punkte, wo er sich Unterlassungsklagen einhandeln könnte. Diese Gefahr dürfte nicht dräuen, da seien Elisabeth und Dörte und die Hütchen vor.