Frauenmord in Echtzeit
SCHAUSPIELHAUS GRAZ / VON EINEM FRAUENZIMMER
24/09/23 Egomanischer Macho rastet aus, ermordet junge Geliebte und richtet sich selber. Das ist nicht die Femizid-Meldung zum Tag, sondern der Handlungskern eines Theaterstücks, das 245 Jahre nach seinem Erscheinen in Dresden nun im Schauspielhaus Graz uraufgeführt worden ist. Von einem Frauenzimmer ist zeitlos, die aktuelle Produktion packend.
Von Heidemarie Klabacher
Düval und Charmille, ein bürgerlich Trauerspiel in fünf Aufzügen. Von einem Frauenzimmer wurde so restlos aus dem Kanon getilgt, dass es anno 2023 nicht einmal als Reclamheft, sondern nur als Print on Demand erhältlich, aber immerhin auch digital zugänglich ist. Christiane Karoline Schlegel (1739 bis 1833) schrieb, inspiriert von einer 1777 in Dresden verübten Bluttat ihr Stück, das prompt ein Jahr später in Leipzig erschienen, aber noch zu Lebzeiten der Autorin wieder in der Versenkung verschwunden ist, da „für ein Frauenzimmer zu tragisch, auch zu unmoralisch“.
Nun eröffnete das Schauspielhaus Graz die neue Saision – und damit die erste Spielzeit der neuen Intendantin Andrea Vilter – mit einer verspäteten Uraufführung und der anonymen Verfasserinnenangabe als Titel. Anne Lenk inszeniert Von einem Frauenzimmer in der stylischen blutroten Designerkücke von Judith Oswald. Hell-lila changieren die Kostüme von Sibylle Wallum zwischen Reifrock und Jogginghose. Spannende „Schattenspiele“ bilden die Projektionen von Gerald Rotter.
Ehefrau und Geliebte stehen einander nahe. Der jungen Amalie/Mally von Charmille (burschikos und freundlich: Marielle Layher) ist ihr älterer Geliebter keineswegs geheuer. „Wär' er glücklich! Woher die Unstätigkeit, der Trübsinn, die üble Laune, die Aengstlichkeit! Wissen Sie denn nicht, was ihn quält“, fragt sie ausgerechnet die Ehefrau. Marianne Düval (souverän und ruhig: Sarah Sophia Meyer) will mit einer sich entsprinnenden Hofintrige gegen die Liebenden nichts zu tun haben: „Ich werde dadurch nicht glücklicher. Düval wird eine andre Maitresse finden, wie seine vorigen, boshaft, ruchlos, unverschämt.“ Ihre Sorge gilt der Jüngeren: „Ist es noch Zeit, Amalien zu retten...“ Mally will ein Stelldichein beenden, da ihre Pflicht als Hoffräulein rufe: „Deine Pflicht? Wenn du in meinen Armen bist“, wütet Düval (charismatisch und psychopathisch: Simon Kirsch).
Die Autorin brachte die Handlung als „Echzeitdrama“ von zwölf Stunden in idealtypischer Einheit von Ort, Zeit und Handlung zu Papier. Regisseurin Anne Lenk lässt das Geschehen in konsequenter Unerbittlichkeit ablaufen. Sie bleibt – vernünftig bei einem Stück, das niemand kennt – eng am Originaltext aus 1778. Schlegels Sprache ist schnörkellos, jeder Satz treibt sturm-und-drangmäßig die Handlung voran. Diese erinnert ein wenig an Die Wahlverwandtschaften, wenngleich Goethes Roman erst 1809 erscheint: Die unwiderstehliche Anziehung zwischen älterem Mann und jungem unschuldigem Mädchen. Dessen idealiserende Überhöhung. Das Verstänis der Ehefrau. Das tragische Ende. Für die noch viel komplizierteren tödlichen Verwicklungen im Trauerspiel Stella brauchte Goethe von 1775 bis 1806. Wie sehr ist dem Schauspielhaus Graz zu danken, den Beitrag Christiane Karoline Schlegels zur Gattung aus der Beziehungskiste geholt zu haben.
Einige eingefügte frauenfeindliche Zitate von Schlegels Zeitgenossen und -innen werden dem Kind Fränzchen Düval (gestört und verletzlich: Anna Klimovitskaya) beim Puppenspielen in den Mund gelegt. Als Puppenspiel des Kindes vorn auf der Bühne geschehen auch Mord und Selbstmord, zeitgleich mit der Bluttat hinter verschlossener Tür. Ein kluger Kunstgriff. Leider vermindern ein paar unvermutet als Femizid-Opfer auftretende Statistinnen die Wirkung.
Wie insgesamt die Beschränkung auf das Femizid-Motiv das Stück einer wichtigen Facette beraubt: Auch der Egomane unterliegt gesellschaftlichen Zwängen. Düval im Gespräch mit dem Grafen von Sternfeld (elegant: Željko Marović), der ihm den Kopf waschen soll: „Ehre in eines andern Diensten zu seyn? Ehre, wo man sich gebieten lassen, drohen lassen, gehorchen, mit jedem Augenblicke erwarten muß, forgeschickt zu werden, wenn man nicht will, wie er will?“ Da bringt Christiane Karoline Schlegel, geborene Lucius, neun Jahre vor Schillers Don Karlos den Marquis Posa mit seinem „Ich kann nicht Fürstendiener sein“ zum Klingen. Das ist revolutionär, geht aber ein wenig unter.
In Summe: Eine packende Produktion. Andrea Vilter will in ihrer Intendanz „die erzählerischen Perspektiven des klassischen Kanons“ erweitern. Kann spannend werden. Von einem Frauenzimmer ist ein vielversprechender Auftakt.
Von einem Frauenzimmer – weitere Termine im Schauspielhaus Graz bis 16. November – schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com
Bilder: SSHG / Lex Karelly