Zum runden Geburtstag
KAMMERMUSIKFEST LOCKENHAUS
13/07/21 Vierzig Jahre sind es her, als der Ortspfarrer Josef Herowitsch zusammen mit dem damals 34-jährigen Star unter den Geigern, Gidon Kremer, das Kammermusikfest Lockenhaus gründete. Gerne erinnert man sich an die damalige unglaubliche Aufbruchsstimmung.
Von Wolfgang Stern
Auch Kremer erinnert sich mit Stolz an die Historie dieses Festivals, an die schönen Begegnungen, an die Experimentierfreude, an die gemeinsamen Erfolge und richtungsweisenden Momente. „Lockenhaus war und ist eine Oase, in der man suchen soll und darf.“ Diesen Grundsatz beherzt auch der Kremer-Nachfolger als künstlerischer Leiter, der Cellist Nicolas Altstaedt.
Heuer ist freilich von Euphorie nicht so viel zu verspüren. Von „ausverkauft“ war man an den ersten vier Tagen – das Festival dauert noch bis zum 17. Juli – weit entfernt und auch für die restlichen Konzerte gibt es noch genug Karten in der üblichen Einheitskategorie bei Preisen zwischen 22 Euro (Konzerte bis zu einer Stunde) und 38 Euro („normale“ Konzertdauer). Was waren das für Marathons in den 1980er Jahren! Der Schreiber dieser zeilen erinnert sich an einen Acht-Stunden-Event, der in der Burg begann und nächtens nach drei Uhr morgens in der Kirche mit Mendelssohns Oktett in Starbesetzung endete. 2021 könnte man fünf bis sechs Kurzkonzerte in dieses Zeitausmaß verpacken.
Nach wie vor spielen die Künstlerinnen und Künstler ohne Gagen. Aber es hat sich einiges geändert, auch in der Infrastruktur. So gibt es seit einiger Zeit zwei gut gehende Ortsgasthäuser nicht mehr, die Situation mit den Zimmern hat sich im und rund um den Ort kaum gebessert. Bessere Quartiere gibt es in Bad Tatzmannsdorf, in Oberpullendorf oder in Lutzmannsburg, und das sind immerhin rund 20 bis 30 Minuten Fahrzeit. Oder man logiert im naheliegenden Ungarn. Güns/Köszeg ist dort die nächste Stadt.
Die früher angebotenen Probenbesuche sind an den ersten vier Festival-Tagen nicht möglich gewesen. Der örtliche Motor, wie es Herowitsch war, fehlt. Ohne sein Mitwirken wäre es nie zu dieser positiven Entwicklung gekommen. Eine Oase braucht Wasser, ohne Wasser wanden die Menschen ab. Lockenhaus braucht dieses Wasser in Form von Besuchern, die im Vergleich zu früher ausbleiben. Nicht die Pandemie allein ist schuld, eine Ursachenforschung wäre nach diesem runden Geburtstag sinnvoll. Kirche und Burg waren in den Anfängen des Festivals oft ausverkauft und Wartelisten keine Seltenheit.
Die Musik in den ersten Festival-Tage: Sturm und Drang konnte man mit dem Kelemen-Quartett erleben, viel Energie steckt in den jungen Musikern, die in kurzem Abstand alle sechs Streichquartette Béla Bartóks mit Bravour wiedergaben. Da kommt einem das Hagen-Quartett in den Sinn, das gleich in den Anfängen hier „gefunden“ worden war. Der Geist von damals lebt partiell.
Dass zwei Geigen den Raum der Lockenhauser Pfarrkirche erfüllen, kann man sich schwer vorstellen. Doch den Geigern Ilya Gringolts und Jonian Ilias Kadesha gelang dies mit der Sonate pour deux violons seuls op. posthume von Eugéne Ysaye, einem raffiniert gestzten Werk, das technisch dem Duo alles abverlangt.
Sonst sind Highlights rarer geworden, aber man weiß, dass hier im Mittelburgenland mit Überraschungen zu rechnen ist. Nicolas Altstaedt beschreibt Lockenhaus „als einen Ort, an dem alles möglich ist“. Programme entstehen nach wie vor meist spontan, die Künstler müssen nicht Rücksicht auf das Publikum nehmen, sie wollen sich in ihrer Tätigkeit finden, probieren, neu artikulieren und Neuestes zur Aufführung bringen.
Nicolas Altstaedt bezeichnet übrigens seinen Vorgänger Gidon Kremer als „eine Jahrhundertfigur“. Dem kann man sich nur anschließen.