Verfolgen und Aufklären
WIEN / HAUS DER GESCHICHTE
31/03/21 Zwischen 1939 und 1945 ermorden die Nationalsozialisten sechs Millionen Jüdinnen und Juden. Das Engagement von einzelnen Menschen und Netzwerken dokumentierte die Verbrechen und verhinderte das Vergessen. Den Pionieren und Pionierinnen gilt die Ausstellung Verfolgen und Aufklären: Die erste Generation der Holocaustforschung im Haus der Geschichte Österreich.
„Die Täterinnen und Täter wollen alle Spuren ihres Verbrechens verschleiern. Die Betroffenen versuchen noch während des Mordens, dieser vollständigen Auslöschung entgegenzuwirken. Jüdinnen und Juden aus ganz Europa dokumentieren die Taten, sammeln Fakten und sichern Spuren.“ Gegründet wurden Archive und Forschungsgruppen, die nach Kriegsende ihre Arbeit fortsetzen. Sie bewahren den millionenfachen Mord vor dem Vergessen - und er bleibt nicht ohne Konsequenzen: Bücher, Gedenkstätten, Forschungsinstitute, Gerichtsprozesse und nicht zuletzt die UN-Genozidkonvention von 1948 sind Resultate ihres leidenschaftlichen Engagements.
Darauf beruht zum Großteil das heutige Wissen über den Holocaust. Die aktuelle Ausstellung setzt Leben und Arbeit von zwanzig dieser Pionierinnen und Pioniere der Holocaustforschung ein Denkmal.
„Die Ausstellung Verfolgen und Aufklären vermittelt neue Perspektiven auf die Situation der Überlebenden der Shoa und ihre Anstrengungen, die Erinnerung wach zu halten und zu verhindern, dass Vergleichbares noch einmal passiert“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer. Die Ausstellung zeige individuelle Pionierinnen und Pioniere ebenso wie das internationale Netzwerk, das Holocaust-Forschung überhaupt erst ermöglicht habe. „Dieser länderübergreifende Blick ist uns im hdgö ein wichtiges Anliegen“, so Sommer. Der Ort ist sei auchVerpflichtung, „denn nur wenige Schritte entfernt hielt 1938 Adolf Hitler die Anschluss-Rede“.
Noch während des Krieges wurden Quellen, die den Holocaust dokumentieren, gesammelt: „In historischen Kommissionen sichern sie auch nach 1945 Beweise und treiben die Aufklärung voran. Es entstehen Archive, Forschungsstellen, Publikationen und Zeitschriftenreihen.“ So wurde die Holocaustforschung zur akademischen Disziplin. „Die breiten Materialbestände bilden das Fundament für bedeutsame Institutionen, die der Erinnerung, Erforschung und Dokumentation des Völkermords gewidmet sind“, erklärt Sommer.
Die Pioniere wollen „in Ansätzen Gerechtigkeit herstellen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen“. Gesammelt wurden Aussagen von Zeuginnen und Zeugen, aber auch Dokumente der an Morden und Deportationen beteiligten Behörden. Dazu zog man eine Lehre aus dem Holocaust, „auf die sich alle Überlebenden einigen können“: „Eine derartige Katastrophe darf sich nicht wiederholen.“ Deshalb müsse das Völkerrecht weiterentwickelt werden, um die Menschen künftig vor Staaten zu schützen, welche die eigene oder eine fremde Bevölkerung verfolgen.
Um die enormen Verbrechen überhaupt erfassen zu können, brauchte es nach Kriegsende neue juristische Grundlagen: „Begriffe wie Völkermord, Genozid oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit existierten bei Kriegsende noch nicht oder bedurften einer präziseren Interpretation.“ Zudem sollen neue Institutionen entstehen, die Völkermorde verhindern oder zumindest strafrechtlich verfolgen können. Auch diese Aufgaben waren den Überlebenden ein großes Anliegen. „Die frühe Forschung zum Holocaust trug zur Veränderungen im Völkerrecht und zur Gründung internationaler Gerichtshöfe bei.“
Die Ausstellung im Haus der Geschichte würdigt die Arbeit von Rachel Auerbach, Nachman Blumental, Ilja Ehrenburg, Philip Friedman, Tuviah Friedman, Wassili Grossman, Maria Hochberg-Marianska, Louis de Jong, Filip Müller, Emanuel Ringelblum, Hersch Lauterpacht, Raphael Lemkin, Leon Poliakov, Eva Reichmann, Gerhart Riegner, Jacob Robinson, Massimo Adolfo Vitale, Alfred Wiener, Simon Wiesenthal und Joseph Wulf.