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Allein und doch in aller Welt

NEUJAHRSKONZERT 2021

01/01/21 Genug Blumen im Vordergrund – und es ist nicht zu sehen, dass etwas fehlt. Das Publikum nämlich. Übernimmt eine höher positionierte Kamera, fallen die leeren Sitzreihen im Goldenen Saal des Musikvereins freilich ins Aug' aber fast nicht auf. Der Blumenschmuck ist bunter und prächtiger denn je. Und Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker lassen sich Verve und Witz durch so etwas wie eine Pandemie nicht austreiben.

Von Heidemarie Klabacher

Soeben zu Ende gegangen ist das 81. Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker in der 63. Übertragung durch den ORF, ausgestrahlt in sechzig Ländern, alphabetisch zwischen Austria und Ukrainie. Es war das sechste Neujahrskonzert unter der Leitung von Riccardo Muti, das erste ohne Publikum und zugleich das erste mit live zugespieltem Schluss-Applaus.

Das mit dem Applaudieren war fast ein wenig gruftig: Zunächst also kein Beifall zwischen Franz von Suppès Fatinitza-Marsch und Carl Millöckers Galopp In Saus und Braus. Musik ohne Applaus, noch dazu in dieser Qualität? Vakuum in schallgedämpfter Echokammer nix dagegen. 

Am Ende des ersten Teils dann zugespieltes Klatschen – Sound und immer mehr Bilder – von Menschen in aller Welt. Reverenz eines nicht anwesenden Publikums für Dirigent und Orchester. So nah kommt man ja den Musikerinnen und Musikern doch nur bei einer TV-Übertragung. Das stramme Lächeln einzelner Instrumentalisten war man geneigt als „gerührt“ zu bezeichnen.

Wie immer erklangen neben bekannten Nummern (zwischen Frühlingsstimmen- und Kaiserwalzer) auch Neujahrskonzert-Debüts. Dazu gab es heuer einzelne Werke mit Italien-Bezug (wie etwa Johann Strauß Vaters Venetianer-Galopp) als Honneur für Riccardo Muti zum Achtziger (sieht man ihm nicht an) und zum Berufsjubiläum: In fünfzig Jahren dirigierte der Maestro die Wiener Philharmoniker 550 Mal.

Neue Lieblingsstücke aus diesem Bereich eigentlich viel zu selten (nämlich genau einmal im Jahr) wahrgenommener Musik: Johann Strauß Sohns Schallwellen. Walzer op. 148. Die feierliche Einleitung (ohnehin immer das Beste an fast jedem Konzertwalzer) erinnert an ehrwürdige Planeten auf ihren Bahnen. Dazu eingespielt wurden im Film Musikabspielgeräte verschiedenster Phasen der Entwicklung mit Luft-bis Elektrizitätsantrieb von der Orgelwalze über Ur-Plattenspieler zum elektrischen Klavier. Dazu ein Blasebalg schön im Takt,

Carl Zellers Grubenlichter-Walzer hat eine besonders schöne langsame Einleitung: Ein fulminant inszeniertes Crescendo gipfelt in einem delikaten Pianissimo, bevor es die Grubengase mit Tusch zünden. Niemand kann so schön absteigende Hornquinten spielen wie die Wiener Philharmoniker. Niemand kann einen Tusch so spritzig zünden, ohne die geringste billige Effekthascherei.

Eröffnet worden sind beide Konzertteile mit Franz von Suppè, „wo es viel zu entdecken gilt und viel Populäeres wiederzuhören gibt“, sagte der ORF-Moderator. Der Fatinitza-Marsch feierte sein Debüt beim Neujahrskonzert. Und die Ouvertüre zum Lustspiel (Theaterstück) Dichter und Bauer ist ein einziger Hit, eröffnet mit Weisen-Blasen und Streicher-Choral samt kleiner Apotheose zum Einstieg und Cello- und Harfensolo zum Niederknien. Dann erst hat in den Holzbläsern einer der ganz berühmten Ohrwürmer seinen Auftritt... Dichter und Bauer müssen Potentaten zweier Weltreiche sein so energiegeladen gehen zumindest Muti und die Philis an die Sacher heran...

Die erste Balletteinlage galt Josef Strauß' Margherita–Polka getanzt im Looshaus, die Damen im Stil der Zwanziger-Jahre gekleidet, weniger „g'schmackig“ und daher entschieden überzeugender als viele der kitschtriefenden Vorgänger-Ballettfilme vergangener Jahre. „Klassischer“, aber ebenfalls wohltuend elegant ausgestattet getanzt wurden Johann Strauß Sohns Frühlingsstimmen in Halle und Park des Palais Liechtenstein.

Dann Donauwalzer. Dann Radetzkymarsch. Fast wie immer. Trotzdem: Nächstes Jahr hoffentlich wieder mit live-Publikum. Leiten wird das Neujahrskonzert 2022 Daniel Barenboim.

Wer die Live-Übertragung des Neujahrskonzerts am Vormittag verpasst, hat drei weitere TV-Gelegenheiten – als „Langschläfer-Service“ bringt ORF III heute Freitag (1.1.) ein Dacapo um 20.15 Uhr - 3sat sendet das Konzert am Samstag (2.1.) um 20.15 Uhr und ORF 2 in der „matinee“ am Dreikönigstag am Mittwoch (6.1.) um 10.05 Uhr
Bilder: Stills aus der aktuellen ORF-Live-Übertragung

 

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