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Operetten-Geist und Funken-Flug

REST DER WELT / BADEN BEI WIEN / DIE BLAUE MAZUR

05/08/20 Franz Lehárs schwer unterschätzte Operette Die blaue Mazur erfreut in einer verkleinerten Version im Jugendstil-Kleinod der Sommerarena in Baden bei Wien. Dank des bearbeitenden und inszenierenden Intendanten Michael Lakner wird wenigstens dort der 150. Geburtstag des Komponisten würdig begangen.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die blaue Mazur ist eine große Operette mit viel Chor und Ballett, mit Opernorchester und langen Finali. Das Original wäre bei Beachtung der Corona-Vorschriften nur in einem großen Haus annähernd möglich. Michael Lakner hat aus der Not eine Tugend gemacht und aus dem vielschichtigen Libretto eine perfekt abschnurrende, burleske Kammer-Komödie mit Musik destilliert.

Es geht um einen polnischen Grafen in Wien, in der Neufassung ist er jüdischer Abstammung, der um 1900 fröhliche Hochzeit mit der edlen Waise Blanka macht. Die Hochzeit platzt zunächst, denn den Grafen holt seine Hallodri-Vergangenheit in Gestalt der frechen Wiener Balletteuse Gretl Aigner und seiner Nachtclubfreunde ein. Nach einem Zwischenspiel in einem sehr homoerotisch gefärbten Männerbund „alter Knaben“, in den sich Blanka flüchtet, kommt das Paar im dritten Akt dann doch noch zusammen, da der Graf sich läutert. Und auch die resche Gretl findet einen Partne in dem ein Doppelleben zwischen Fun-Gesellschaft und seriösem Studenten führenden Galan Baruch.

Die Verlegung in das assimilierte Judentum funktioniert, denn damals wurden bekanntlich etwa jüdische Bankiers geadelt, man denke nur an Rothschild. Dass der neue Adel sich betont angepasst gibt und mit Leidenschaft Walzer und Mazurka tanzt, hat es am Vorabend der antisemitischen Katastrophe ebenfalls gegeben. Der jüdische Witz, der die Texte nun durchzieht, ist sowieso unsterblich. Es gibt viel zum Lachen, auch in den Szenen der „arischen“ Vereinigung der „Alten Knaben“. Zwischendurch blitzt der Zauber des Genres auf, in den Liebesduetten und mitreißenden Buffonummern. Und besonders in der von Michael Kropf lustig choreographierten Szene eines einzigen Tanzpaars. Das Bühnenbild von Christof Lerchenmüller und die Kostüme von Friederike Friedrich zitieren geschmackvoll die Zeit der Handlung. 

Der Dirigent Franz Josef Breznik hat die Partitur geschickt reduziert, denn im schmalen Orchestergraben und in den von solistischen Bläsern besetzten Orchesterlogen finden bloß 19 musizierende Menschen Platz. Da ist für die laut Uraufführungskritik von 1920 (übrigens gleich nach der „Spanische Grippe“-Pandemie!) „kontrapunktisch geführten Saxophone“ und den süffigen Streicherklang der exquisiten Instrumentierung ebenso wenig Platz wie für die ausladenden, durchkomponierten Finali. Dennoch kommen meisterhafte Satztechnik, etwa in einem „Madrigalquintett“, unterschwellige Melancholie und melodischer Reichtum immer wieder zur Geltung.

Alle Mitwirkenden sind mit spürbarer Begeisterung am Werk. Oliver Baier ersetzt als launiger Conferencier den Chor und schlüpft gleich in vier kleine Rollen, besonders köstlich als skurriler Diener der alten Herren. Sieglinde Feldhofer beweist als in jeder Beziehung attraktive Blanka mit leuchtendem Sopran wieder einmal, wie gut man auch heute Operette singen kann, wenn man es kann.

Clemens Kerschbaumer als Graf Szpilmanski erfüllt die Figur mit bärenhaftem Charme und punktet als Liebhaber mit tenoralem Schmelz. Der frische Spieltenor Ricardo Frenzel Baudisch erfreut mit komischer Spiellaune als Baruch, Martha Hirschmann als Gretl Aigner mit echtem „Weanerisch“ vom Grund und wohltönendem Soubretten-Mezzo.

  Die Herren Thomas Zisterer, Thomas Weinhappel und Philippe Spiegel als Altherrenpartie sowie Wolfgang Gerold, Thomas Essl und Beppo Binder als des Grafen Freunde singen mit Animo und setzen gekonnt ihre Pointen. Dessislava Filipov und Jan Bezak tanzen vergnügt.

Übrigens dürfen sich die entsprechend getesteten Liebespaare auf der Bühne wie in normalen Zeiten umarmen und sogar küssen. Eine sinnesfrohe Operette mit strengen Abstandsregeln wäre auch zu kurios. Das begeistert klatschende und Bravo rufende Publikum bestand in der zweiten Vorstellung am 1. August aus rund zweihundert Zugelassenen in einem Raum, der sechshundert Leute fasst. Man saß so bequem wie nie zuvor und durfte sich während der knapp zweistündigen, pausenlosen Vorstellung demaskieren, bei offenem Glasdach unter blauem Sommerabendhimmel. Die hygienischen Regeln entsprechen denen der Salzburger Festspiele und alles ging geordnet ab. Nachher schmeckte der „Gspritzte“ im Cafe im lauen Kurpark besonders gut.

Weitere Vorstellungen am 8., 9., 16., 19., 22. und 28. August, sowie am 4. und 5. September - www.buehnebaden.at
Bilder: BB / Christian Husar
Zum dpk-Essay anlässlich des 150. Geburtstages von Franz Lehár
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