In bester Form, wenn auch in weiblicher
WIEN / JELINEK / URFAUST / FAUSTIN AND OUT
03/03/20 „Allerhalter, Allumfasser“ heißt es bei Goethe nicht unpathetisch, und es wäre nicht Elfriede Jelinek, hätte sie die Wort- und Gedankenkette nicht fortgesponnen bis „Vorenthalter“. Über ihr 2012 uraufgeführtes Stück FaustIn and out schrieb sie, sie sehe sich als „kläffender Hund, der die ehernen Blöcke männlichen Schaffens umkreist und ab und zu sein Bein hebt“.
Von Reinhard Kriechbaum
Diesen „ehernen Block“ in Gestalt des (Ur)Faust hat die junge Wiener Regisseurin Bérénice Hebenstreit nicht auf die Kellerbühne des Volx/Margarten gestellt, sondern seitwärts auf einem der Balkone an ein Lesepult gesetzt. Von dort herab wird Doktor Heinrich Faust fortan dozieren, fragen und fordern und so die Jelinek'schen Geister, die ja gleich Mephisto stets veneinen, zur Widerrede herausfordern. Gleich vier Mal setzt Faust eingangs zu seinem Monolog „Habe nun, ach, Philosophie...“ an. Günter Franzmeier gibt ihm jedes Mal völlig andere Gewichtungen, und die Gedankenkurve schrammt immer irgendwo anders hin. Was aber immer gleich bleibt in dieser bizarr perpetuierten Eingangssequenz: Die erwachenden Geister schwanken und schlurfen als erstes zu einem Blecheimer und putzen sich die Zähne. Vor dem Erwachen des Selbstbewusstseins steht wohl das eingeübte Ritual, das erst überwunden sein will.
Die variabel zu besetzende Textfläche hat Bérénice Hebenstreit auf drei weitere Personen verteilt. GeistIn, Zweiter Geist und FaustIn – letztere ist der Kleidung nach (Hemden mit Puffärmeln) auch der Gruppe der Widerspruchsgeister zuzuordnen, wenn sie auch argumentativ erst spät in die Gänge, dafür zu einem umso stärkeren Finale kommt.
Elfriede Jelinek hat FaustIn and out unter dem Eindruck der beiden österreichischen „Keller-Kriminalfälle“ geschrieben. Natascha Kampusch wurde jahrelang gefangen gehalten, Elisabeth Fritzl von ihrem Vater missbraucht und mehrmals geschwängert. Mit der Distanz von acht Jahren sind diese Tagesaktualitäten weniger wichtig als die grundsätzlichen Fragen nach männerbestimmten Machtverhältnissen. Da erst beweist Jelineks Text seine weit über den Anlassfall reichenden Qualitäten. „Warum all die Mädels in den Kellern?“, heißt es einmal. „Sie könnten ja auch in einemTurm gehalten werden, aber einen Turm hat nicht jeder.“ Das „Loch“ ist allemal der sicherere Ort für die fremdbestimmte Versenkung des weiblichen Ego.
Den Kellertragödien zumTrotz hat Elfriede Jelinek nicht wenig absurde Komik eingebracht, und darauf setzt die Regisseurin mit Nachdruck. Steffi Krautz als resolut-wortgewandte GeistIn hat da oft die Lacher auf ihrer Seite, egal, ob sie sisyphusgleich mit viel zu wenigen Wäschekluppen viel zu viele Socken an die Leine zu hängen versucht oder darüber sinniert, dass es für eine Frau besser sei, zum Arzt zu gehen als zum Philosophen. Zum Arzt, auch wenn dieser so wie Faust angesichts der Frau so klug da stehe als wie zuvor... „Das Mädel braucht kein Geist zu sein und keinen zu haben“, lässt die Jelinek ätzen.
In kurze, einprägsame, lehrstückhafte Szenen gliedert Bérénice Hebenstreit den Text, eng interpolierend aus dem von oben herabgeschleuderten Zitatwerk aus dem Urfaust, das sich umso grenzwertiger ausnimmt, als die „Geister“ an Selbstbewusstsein und Aufsässigkeit zulegen. Die GegenspielerInnen des Vorlese-Faust wachsen rasch über Sofa, Kaffeeküche und Bügelbrett hinaus, womit die Ausstatterin Karoline Bierner deren erzwungenes Lebensumfeld definiert hat. Bald sagt die GeistIn: „Wir sind in bester Form, wenn auch in weiblicher!“
Und wenn nicht nur Socken in Form gebracht worden sind, sondern in einer Szene sogar Gretchen/FaustIn als ganzer Mensch auf dem Bügelbrett geplättet wurde: Vor Heinrich und seinen Rettungsangebot graut ihr trotzdem gerade noch rechtzeitig, was Bérénice Hebenstreit in ein kraftvolles Musik-Finale ummünzt. Wenn die FaustIn dem „lieben Menschheitsdrama“ selbstbewusst eine Abfuhr erteilt, kommt Nadine Quittner zur Musik von Oliver Cortez und Kathrin Kolleritsch rappend so recht in Fahrt. Man nimmt ihr jederzeit ab, dass sie nicht mehr hineinpasst ins Korsett der „immer gleichen Bilder“ und in die Fragen des von Elfriede Jelinek mit soviel Argwohn (und herzlich wenig Respekt vor dem Dichterfürsten) beäugtem „Menschheitsdrama“. Die Autorin war ja nach eigener Aussage „mit der Schaufel und dem Besen“ hinter Goethe her und beseitigt den „Menschenmüll, den der Klasssiker hinterlassen hat“.