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Nora auf dem Planet der Plüschbären

LINZ / LANDESTHEATER / JELINEK

24/02/20 Sie kommt nicht aus einer anderen Gesellschaftsschicht, sondern gleich aus einer anderen Galaxie. Langsam senkt sich die Rakete, und heraus stürmt Nora, so blond wie pink imTüll-Kleidchen. – Elfriede Jelineks Bühnen-Erstling Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte im Landestheater Linz.

Von Reinhard Kriechbaum

In den 1970er Jahren hätte man Nora in diesem Outfit vielleicht noch als Flittchen klassifiziert, und damit hätte sie in die Feminismusdebatte gepasst wie Elfriede Jelineks 1977 geschriebenes, 1979 uraufgeführtes erstes Bühnenstück überhaupt: Selbst pessimistische Frauenbewegte dieser Ära – sie liegt mehr als vierzig Jahre zurück – haben sich damals nicht ausgemalt, wie schlecht Nora es in der Jelinek'schen Ibsen-Fortschreibung treffen würde. Wie schnell die eben noch scheinbar selbstbewusst ins eigene Leben aufbrechende Frau einknicken, sich als anpässlerische Gespielin wieder einklinken würde in die männerdominierte Gesellschaft.

Sympathisantinnen in der Feminismus-Szene hat die Jelinek sich mit dem Stück eher nicht gemacht. Kann man dem angejährten Text heute noch trauen? Ein gewisser Pessimismus ist ohne Zweifel am Platz, und an solchem lässt es die Regisseurin Charlotte Sprenger, die ihre Nora per Rakete auf die von lebenden Plüschbären belebte Bühne der Linzer Kammerspiele geschossen hat, nicht fehlen.

Charlotte Sprenger setzt aufs Grelle und schickt ihre Hauptdarstellerin (Anna Rieser) in ein popiges Pandämonium, von dem sie augenblicklich vereinnahmt wird. Nichts als fremdbestimmte Popanze. Da ist keine und keiner sie oder er selbst. Alle – allen voran Nora selbst – leben Rollenbilder aus, von denen sie glauben, dass die Gesellschaft es so von ihnen erwarte. Für dieses fatale Räderwerk nicht authentischen Verhaltens geizt die Regisseurin nicht mit Elemenen der Farce. Gegenüber grellen Parodien hat sie überhaupt keine Vorbehalte.

Das sichert zwar Spontaneität und Frische und erleichtert es, die vielen gestelzt-diskursiven Ausflüge, an denen es in dem Text nicht mangelt, zu ertragen. Andrerseits ermüdet der Dauerbeschuss mit Skurrilitäten, abgefeuert wie aus einer Stalinorgel. Augenrollen und Grimassenschneiden tragen als Stilmittel nur bedingt über die zwei Stunden. Ein Mindestmaß an Sprech-Genauigkeit setzte auch schon die Ur-Jelinek voraus, daran mangelt es in der Linzer Aufführung gar sehr.

Für die Jelinek galt 1977/79 eine ausschließlich von Männern dominierte Wirtschaftswelt noch als völlig selbstverständlich. Charlotte Sprenger bricht diese Sicht auf, indem sie Nora in ein gleichgeschlechtliches Verhältnis zwingt: Aus dem Konsul Weygang wird eine mächtige Wirtschaftstreibende. Ein Alphatier freilich mit betont männlichem Gehabe und proletenhaft-virilem Lacher. Hanna Binder hat in dieser Rolle zwar besonders schlechte Karten, was die Glaubwürdigkeit anlangt, allein: Die aus dem Puppenheim des Torvald Helmer entwichene Nora hat ja keine andere Weltsicht kennen gelernt als die bürgerliche, in der die Frau mitzuspielen und sich anzupassen hat. Sie rasselt gleichermaßen aktiv wie passiv hinein in die neue Beziehung, in der sie von „Frau“ Weygang zum Instrument gegen den Konkurrenten eingesetzt wird.

Torvald (Alexander Julian Meile) hat die Bankdirektors-Karriere nicht gut getan. Als eitler Geck gibt er Platitüden von sich. Eine zentrale Szene wäre jene, in der Nora sich ihm gegenüber als Sado-Prostituierte ausgibt. Hier streift sie sich ein plüschiges Fleischberg-Kostüm über. Was als elementare Abrechnung zwischen den Ex-Eheleuten rüberkommen sollte, was einem also sogar beim Zuschauen weh tun müsste, ist bloß Geplänkel, bleibt wegen der Überzeichnung eigenartig belanglos. Das gilt eigentlich für den ganzen Abend.

Das „Loch“ (Noras neue Arbeitsstätte), das immer wieder angesprochen wird: Es hat mit seinen steil schräg ansteigenden Umgrenzungen auch etwas vom Spielfeld in einem Amphitheater, wo Nora sich wie eine Gladiatorin den Anfechtungen ihrer neuen Umwelt stellen muss. Abenteuerliche Kletterei, vor allem mit Stöckelschuhen.

„Stoff oder Papier?“ fragt „Konsulin“ Weygand, die der Gespielin Nora längst überdrüssig ist und sie als Kleinhändlerin versorgt wissen möchte. Stoff oder Papier ist letztlich auch die Frage, was Elfriede Jelineks erstes Bühnenstück angeht. In der Linzer Produktion hat Charlotte Sprenger ganz aufs Stofflich-Handgreifliche gesetzt, und wenn die Aufführung mal runter kommt von der plakativen Ebene der Farce, wenn der Ton leiser wird, beginnt gleich das Papier zu knistern. Sie schreibe „etwa im Sinne des Brechtschen Lehrstücks“, äußerte sich die Autorin einige Jahre, nachdem ihre Nora-Variante beim Steirischen Herbst in Graz uraufgeführt worden war. Vielleicht ist das hier doch zu wörtlich genommen.

Aufführungen bis 28. Juni in den Kammerspielen des Linzer Landestheaters – www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz / Petra Moser

 

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