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Wir fallen immer wieder auf Österreich herein

GRAZ / SCHAUSPIELHAUS / HELDENPLATZ

11/01/20 Die Wort-Granaten gingen im Oktober 1988 hoch, noch bevor der Vorhang in Peymanns Burgtheater für Thomas Bernhards „Heldenplatz“ hochgegangen war: „Im Augenblick ... müht sich Österreich, die größtmögliche Übereinstimmung der Wirklichkeit mit Bernhards grotesken Texten herbeizuführen.“ So ein ironischer Kommentator damals in der Süddeutschen Zeitung.

Von Reinhard Kriechbaum

Es war also das, was man heute einen ausgewachsenen Shitstorm nennen würde. Dank der Marktführerschaft der Krone funktionierte ein solcher auch vor Erfindung von Social media wie am Schnürchen. „In Österreich „musst du katholisch oder nationalsozialistisch sein, alles andere wird nicht geduldet.“ Mehr brauchte es damals nicht, um auch scheinbar reflektierte Menschen durchknallen zu lassen. Von den Radaubrüdern Jörg Haider und H. C. Strache – damals 19 Jahre alt und bei der Premiere aus einer Loge brüllend – ganz zu schweigen.

Damals also reifte „Heldenplatz“ in wenigen Wochen zur Theater-Ikone – und ward hierzulande doch schnell zur Reliquie. Tolle Bilanz zwar für den Uraufführungsregisseur Claus Peymann, 120 Burgtheater-Aufführungen in zehn Jahren. Danach eine weitere Inszenierung in der Josefstadt und eine in Linz. Man glaubt es gar nicht, dass die Aufführung nun im Grazer Schauspielhaus erst die vierte Produktion von „Heldenplatz“ in Österreich ist.

Sinnvoll, das Stück jetzt zu zeigen, da die Welt für viele (mit Bernhards Worten) „nur noch eine hässliche und durch und durch stumpfsinnige“ ist und sie deshalb illiberalen Wortführern nachlaufen. Dass solches jederzeit passieren kann, hat Thomas Bernhards im „Heldenplatz“ hellsichtig beschrieben. Und sollten sich Genossen ins Theater verirren, finden sie im „Heldenplatz“ den Ruin der Sozialdemokratie mit beispiellosem Durchblick vorformuliert.

Regisseur Franz-Xaver Mayr war bei der Heldenplatz-Uraufführung gerade zweieinhalb Jahre alt. Er wird seine Generation kennen und wissen, was ihr an zeitgeschichtlichem Vorwissen möglicherweise fehlt, um Bernhards Tiraden von damals einzuordnen. Deshalb lässt er eine der Figuren, den Professor Landauer, mehrmals heraustreten aus dem Stück und ihn das Publikum direkt ansprechen: Prof. Landauer alias Sarah Sophia Meyer gibt uns Lesetipps in Sachen Sekundärliteratur zu Thomas Bernhard und speziell zum „Heldenplatz“. Die Bücherliste liegt auch im Foyer auf, beim Büchertisch. Sollte man mitnehmen.

Sonst aber alles andere als Bildungstheater. Franz-Xaver Mayr stülpt dem Text keine vorschnelle, vor allem keine geradlinig-glättende Interpretation über. Er zieht das Publikum hinein in Bernhards hinterhältige Satz-Ellipsen. Doktor Schuster ist aus dem Fenster gesprungen, hinunter auf den Heldenplatz. Die Hinterbliebenen sprechen zwar über ihn, über den Selbstmord eines vor den Nazis Geflohenen, der im Exil in Oxford so fremd war, wie er auch nach der Rückkehr nach Wien dort nicht mehr heimisch geworden ist. Vor allem aber reden diese wenig empathischen Leute von sich, von unerfüllten Erwartungen und trügerischen Hoffnungen. Verquere Lebenslinien und Lebensentwürfe ohne Perspektive brechen sich in Nebensätzen Bahn. Unterschiedliche Traumatisierungen mit innerfamiliären Wechselwirkungen werden in dieser Inszenierung unterschwellig, aber aufmerksam heraus geschält. Das ist viel spannender als die Hasstiraden aufs ewiggestrige, braun-morastige Österreich, für das Thomas Bermnhard im „Heldenplatz“ die Trademarks vergibt.

Ein gestalterischer und sprechtechnischer Höhepunkt gleich zu Beginn ist die Suada der Frau Zittel. In deren Kleid steckt Florian Köhler. Frau Zittel war die Wirtschafterin des Verstorbenen, für ihn dienstbarer Geist und Gesellschaftsdame zugleich, vielleicht sogar Lebensmensch. Respekt, Sympathie, Leidenschaft gar – ein Panoptikum unterschiedlicher Gefühle setzt Florian Köhler mit beeindruckender Sprechtechnik und sorgsam moderater Gestik um. Keine Spur von tuntenhaftem Gehabe in dieser Rockrolle.

Einige Rollen sind geschlechtsverwandelt in dieser Aufführung, aber nicht aus gerade modischem Genderbewusstsein heraus. Diese Akzentverschiebungen helfen, Konturen, auch Schrullen der Handelnden zu verstärken. Julia Franz Richter beispielsweise steckt im übergroßkarierten Sakko des Professors und Onkels Robert, des Bruders des Verstorbenen. Auch er ist einst emigriert und wieder heimgekehrt nach Österreich. Er steht fürs Sich-Ausblenden aus den Zeitläuften. „Ich bin ja gegen fast alles“, sagt er, „aber protestieren – nein!“ In sonderbar erdferner, gelöster Distanz schaut Robert auf seinen Bruder zurück. Nur ein Mal „gestattet“ er sich selbst „eine kleine Erregung“.

Die geballte Energie einer Psychose kommt in Gestalt der Witwe Hedwig auf die Bühne. Die „Frau Professor“ hat stets gelitten in der Wohnung mit freiem Blick auf den Heldenplatz. Sie vermeint dort die Stimmen und Schreie der bedrohlichen Vergangenheit (die auch eine bedrohliche Zukunft werden könnte) zu hören. So leise Julia Gräfner und der Regisseur diese Rolle anlegen: Das Entsetzen ist der Frau ins Gesicht geschrieben.

„Wir fallen immer wieder auf Österreich herein“, heißt es einmal. Das hat vielleicht etwas Schicksalhaftes, und so hat Franz-Xaver Mayr in das Stück eine Art Antikenchor eingebracht, eine insistierend-beharrliche Vox populi. Die Kostümierung markiert einen eigenartigen Zeitensprung. 1988 waren die Beatles-Frisuren der Männer und die schwarzen Pagenfrisuren der Frauen eigentlich schon out. Vielleicht ein Hinweis, dass die 68-Generation in Österreich politisch auch eher dumpf war und keine Anstöße zur Vergangenheitsbewältigung gegeben hat?

Aufführungen bis 8. Februar – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Karelly_Lamprecht

 

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