asdf
 

Drei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust

WIEN / VOLKSTHEATER / PEER GYNT

13/12/19 Ein junger Peer Gynt, einer in der Mitte des Lebens und schließlich der Alte – drei Peer Gynt-Darsteller wären so originell nicht. Aber wie viele Peers brauchte es wirklich, nähme man diesen Egomanen beim Wort, wie er um „er selbst“ zu sein so aberwitzig irrlichtert und spintisiert: ein Dutzend vielleicht?

Von Reinhard Kriechbaum

Viktor Bodó kommt im Wiener Volkstheater trotzdem mit dreien aus, er bleibt auch bei der Zuschreibung an die Lebensalter. Aber diese drei Peer Gynts sind meist miteinander, nebeneinander auf der Bühne. Drei Seelen wohnen offenbar in (s)einer Brust. „Alles Märchen und verdammte Lügen“, sagt der alte zum jungen Peer einmal.

Mit vereinter Kraft teufeln Nils Hohenhövel, Jan Thümer und Günter Franzmeier geradeaus, auch wenn der Krumme „außen rum“ empfiehlt. Dann stehen sie wieder gegeneinander, kommen ins Handgemenge, und einmal halten sie einander gar bedrohlich fest im Würgegriff. Die drei sind ein und derselbe, freilich in verschiedenen Unreifegraden und Temperamentsabstufungen. Folgerichtig: Am Ende wird der alte Peer es nicht mit dem Knopfmacher zu tun bekommen, sondern er wird seinen beiden Alter Egos Rede und Antwort stehen müssen, wie das nun war und ist mit ihm, seinem Selbst und dem, was die Psychologie heute als „authentisch“ bezeichnen würde.

Viktor Bodó lässt dem Vorgänger einer globalen Ich-AG nicht durch Solvejg, die ihr Lebtag lang auf den Tunichtgut gewartet hat, die Absolution erteilen. Knietief in Bühnennebel versunken rasen die drei Peer Gynts zuletzt schon wieder neuen Abenteuern entgegen, während sich der Eiserne Vorhang senkt. An ihm hauen sie sich die Schädel an, dass es kracht. Einmal Ego, immer Ego. Und kein bißchen gescheiter geworden.

Inszenierungen von Viktor Bodó sind ein Fixpunkt in den Theatern, denen Anna Badora als Intendantin vorsteht. Schon im Grazer Schauspielhaus war er jede Saison zu Gast. Ibsens Peer Gynt ist besonders dankbares Material für den ungarischen Bühnenzauberer. In seiner Deutung haben wir es mit Kopftheater, nicht mit realen Erlebnissen zu tun. Das enthebt wunderbar aller Kausalität.

Ein weißer Guckkasten, die Übergänge zwischen Wand und Boden zu überdimensionalen Hohlkehlen geformt – in diesem Raum fehlen die Kanten, um Halt zu bekommen. Nicht nur Peer Gynt ist wie ein irrealer Luftikus unterwegs. Stellwände öffnen sich und schließen sich ebenso schnell wieder. Was vorgeht im Dorf und in der weiten Welt kann man oft nur durch Ritze in der Wand erkennen, mehr erahnen als sehen. Stimmen dringen herein. Wie Chimären ziehen die Gegenspieler Peers vorbei, geben mehrheitlich selbst Karikaturen ab. Sie alle verdienen nichts besseres als einen Peer Gynt, der sie zum Narren hält und dabei doch mehr und mehr sein Hab und Gut und sich selbst verliert. Aase (Steffi Krautz) ist eine Ausnahme: Die ist eine viel weniger strenge als mitfühlende Mutter, sie hält alle Sympathien für den Sohn wach. Wenn der bloß seriös sein wollte! Andrerseits: Wenn die Mutter im Sterben liegt, zeigt Peer echte Anteilnahme und läuft zur Vollform auf als wortgewandter Versüßer ihres letzten Wegs.

Bizarre Szenen rundum: Mt knapper Not retten zwei Peer Gynts den dritten vor der Augen-Extraktion, die der Bergkönig vornehmen will. Die Trolle sind grün gekleidete Wesen mit einem eigenartigen Dialekt irgendwo zwischen Sächseln und Schwyzerdytsch. Da prallen das erste Mal Ideologien aufeinander: „Mensch, sei du selbst“ und „Troll, sei du selbst dir genug“ – nur zwei Wörter mehr, aber sie trennen Welten.

Man spielt die Übersetzung von Christian Morgenstern, und daraus zieht der Regisseur ein gerüttelt Maß an Komik. Wie immer in Inszenierungen von Viktor Bodó hat Klaus von Heydenaber nicht nur ein tönendes Environnement aus malerischen Klängen entworfen, sondern er mischt diese mit Popnummern und einmal sogar mit Griegs Peer Gynt-Musik. Wunderbar, wenn die Peer Gynts als Popband auftreten, mit Anita als Sängerin. Sie trägt den dreien nach und nach die E-Gitarren und sogar das Schlagzeug-Becken davon. Der Raub der Braut Ingrid: Peer Gynt flieht mit ihr über die Galerie, und bald hört man von oben herab beider Lustschreie...

Als Trollkönig, aber auch in anderen starken Männerfiguren ist Stefan Suske wichtig. Er ist der einzige, der Peer Gynt gefährlich werden könnte. Die meisten im Ensemble übernehmen drei, vier Rollen, auch Peers Geliebte sind als Doppelrollen angelegt: Evi Kehrstephan (Solvejg, Die Grüngekleidete) und Dorka Gryllus (Ingrid, Anita). Hurtig wandelt sich da eines ins Andere, jede dieser Traum- oder Alptraumszenen wirkt hingetrimmt auf die Frage, wieviel ausgeklinkter Egozentrik diese Welt verträgt. Insofern gewinnt Viktor Bodó Ibsens Vorlage keine neuen Deutungen ab, aber er koloriert sie so lustvoll wie phantasiesprudelnd.

Die Dezember-Vorstellungen finden noch im Volkstheater statt, ab Jänner übersiedelt die Produktion in die Halle E im Museumsquartier. Aufführungen bis 29. Februar. Das Volkstheater bleibt ein Jahr lang geschlossen und wird generalsaniert – www.volkstheater.at
Bilder: Volkstheater / www.lupispuma.com

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014