Cinderella will trainieren
OPER GRAZ / CINDERELLA
19/11/19 Cinderella träumt – weniger vom Heiraten, als vom Tanzen! Cinderella will trainieren, will eine berühmte Ballerina werden, wie die verstorbene Mutter. Der Vater hat wohl eine Ballettschule. Aber die dominante Stiefmutter, eine brutale Ballettlehrerin russischen Schlags, will keine Konkurrenz für ihre beiden Töchter – und verbietet der talentierten Cinderella das Tanzen.
Von Heidemarie Klabcher
Die „Großen“, längst elegant in ihren Bewegungen und da und dort schon sichtbar ein wenig selbstverliebt, schlendern lässig herein, machen locker ein paar Dehnungsübungen – und legen los mit virtuosen Motiven zu Soli oder Pas de Deux, die demnächst das Publikum begeistern werden. Zwei der jungen Tänzerinnen, die einzigen in bunten Trainings-Trikots, spielen sich recht auf, werfen sich den tanzenden Burschen wahlweise in die Bahn oder an den Hals, haben aber – selbst für den Laien erkennbar – deutliche Haltungsmängel.
Dann wuseln die „Kleinen“ in den Ballettsaal, legen an der Stange los mit klassischen Übungen, voll Lust und Begeisterung: Sie sind noch nicht Opfer der schwarzen Pädagogik der bösartigen Ballettmeisterin, Cinderellas Stiefmutter, die in eigener Choreographie als ironisch überzeichnetes Ebenbild der Disney'schen Cruella de Vil über die Bühne stakst: Beate Vollack choreographierte Sergej Prokofjews Cinderella im Opernhaus Graz als Ballett in der Ballettschule. Nüchterne Ziegelwände werden auf der so schlichten wie wandlungsfähigen Bühne von Dieter Eisenmann zu zaubrisch sich öffnenden Spiegelwänden, auf die sich Wunsch und Wirklicheit der realten Welt ebenso projizieren lassen, wie erinnerte Märchen-Motive.
Auch diese Cinderella verliert nach dem Ball zur Mitternacht einen ihrer Schuhe. Was – bei einem mittels Satinband um die Fessel gebundenen – Ballettschuh nicht ganz erklärlich ist, den jungen Damen, die mittels Schuhprobe den Prinzen zu gewinnen hoffen, aber guten Grund für virtuose Soloeinlagen als spanische oder indische Verführerin gibt. Kürbis-Kutsche gibt es keine, die Fee erscheint in quasi mehrfacher Gestalt – als lebenidg gewordene Erinnerung Cinderellas an die berühmte Mutter zusammen mit drei, ebenfalls klassisch weißen, Sylphiden. Auch der Vater tanzt als reale Person und imaginierte Traumgestalt.
Die märchenhaften Motive und Momente kommen – mit den Gebrüdern Grimm und Walt Disney im Hinterkopf - zu berührender poetischer Wirkung. Auch wenn die naive Prinz rettetAschenputtel-Story nicht nicht das Hauptmotiv ist. Dieses ist in Prokofiews Ballett die Sehnsucht Cinderellas nach einem selbstbestimmtem Leben als Tänzeri: Diese Sehnsucht allein öffnet die Mauern zwischen Traum und Wirklichkeit.
Die Solistin Lucie Horná tanzt die Titelpartie als ein Kind der tristen Realität, das sich dennoch weder Träume noch Lächeln nehmen lässt. Die technische Perfektion und die Schwerelosigkeit, die Lucie Horná der Grazer Cinderella schenkt, ist auch ein Geschenk ans Publikum: Man wünscht sich mit dem letzten Vorhang einfach nur ein da Capo. Das gesamte Ensemble bietet auf höchstem Niveau technische Spitzen-Leistungen, aus denen die Parts der Solisten wohl gebührend virtuos hervortreten, ohne dass die Geschlossenheit der Choreographie in Einzelnummern zerfällt.
Paulio Sóvári als Vater, Miki Oliveira als Mutter und Sylphide, Stephanie Carpio und Martina Consoli als Stiefschwestern Ottilie und Eulalie undChristoph Schaller als Prinz Philip begeistern mit stupender Leichtigkeit und Virtuosität, die auch die Performance der Sylphiden oder der Freunde des Prinzen auszeichnet.
Die Choreografin Beate Vollack ist Ballettdirektorin und, seit Beginn der Spielzeit 2019/20, auch die künstlerische Leiterin der Ballettschule an der Grazer Oper. In einer – hinreißend als klassische Ballettstunde angelegten – Szene präsentiert sie die ganz jungen Schülerinnnen (und den einen jungen Schüler) ebenso, wie die bereits fortgeschrittenen Elevinnen der Balletschule: Welch charmante Idee, einerseites dem Publikum den Nachwuchs und die Arbeit an der hauseigenenen Schule zu präsentieren, und andererseits den Kindern und Jugendlichen einen Auftritt auf der großen Bühne in einer großen Produktion zu ermöglichen, ohne quasi das vertraute Ballettsaal-Ambiente verlassen zu müssen: Fröhlich, selbstsicher und genau waren schon die Übungen der Jüngsten.
Oksana Lyniv am Pult der Grazer Philharmoniker entwickelt etwa die zahllosen Walzer der Partitur Prokofiews mit ebenso leichter vorwärtsdrängender Grandezza wie das Ensemble auf der Bühne. Die Galopps etwa im dritten Akt lassen die Rastlosigkeit der Suche des Prinzen nach der verschwundenen Schönen zwischen „Hollywood und Bollywood“ selbst im sitzenden Publikum spürbar werden. Betörend schön musikziert sind die traurigen Cinerella-Motive, beinah ein wenig tristanisch oder lohengrinisch kommen die Liebesmusiken daher... Ob im Orchestergraben oder auf der Bühne betört diese Cinderella zwischen Traum und Wirklichkeit