Eingekerkerte Seelen
GRAZ / DON CARLO
30/09/19 Sie hat mich nie geliebt: Wenn König Philipp dies am Beginn des dritten Akts von Verdis Don Carlo an seiner (zu) jungen Gattin Elisabeth beklagt, ist er normalerweise einsam auf der Bühne. In der Grazer Oper sitzt Prinzessin Eboli während dieser Arie auf des Königs Knien. Die Nacht hat er nicht allein verbracht...
Von Reinhard Kriechbaum
Tatsächlich beichtet die Eboli im Libretto ihrer Königin die Affäre, die kaum in einer Operninszenierung bildlich angedeutet wird. Die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen ist aber gerade drauf aus, die Handelnden auf ihre deformierten Seelen hin an- und auszuleuchten. Die Eboli steckt den Frust, wie er am stocksteifen und bigotten Hof der Reyes Catholicos wohl unvermeidlich war, auf eigene Weise weg: Mit Rodrigo, dem Marquis de Posa, lässt sie sich gleich mal tändelnden Schrittes ein. Die Enttäuschung, dass sie von Carlos nicht geliebt wird, lässt sie später zur Intrigantin werden. Und dann also noch die Sache mit dem König selbst...
Wie anders Elisabeth, die aus politischen Gründen als Braut an den König verschachert worden ist, um den Frieden nach langen Kriegsjahren zwischen Frankreich und Spanien zu besiegeln. Sie hat sich total abgekapselt, steht leicht gebeugt, wie unnahbar da. Auch gegenüber dem Kronprinzen Don Carlos – mit dem sie zuvor verlobt war, bis die Staatsraison eine andere Familienplanung vorsah – versucht sie krampfhaft Facon zu wahren.
Die psychologisch sehr genaue Inszenierung hält sich nicht unnötig auf mit der Geschichte und der Politik, es wird nichts verheutigt. Es geht unmittelbar um die Menschen: Jede und jeder ist ein Gefangener, leidet ohne eigenes Zutun, ohne Verschulden unter der Unerbittlichkeit des Status quo. Nie kommen diese Menschen - Ausnahme die psychopathische Eboli - einander auch nur ansatzweise nahe.
Das zeigt Jetske Mijnssen mit äußester Konsequenz. Die düstere, holzgetäfelte Guckkastenbühne (Gideon Davey) hat seitlich verschiebbare Wände. Sie können ganz eng zusammen rücken, die Protagonisten wie in einem Kerker einzwängen. Mancher Dialog passiert nicht Face to face, sondern es sind Gespräche durch Türen. Auch die Chorszenen sind dieser Enge eingeschrieben, selbst das Autodafé ist ein Staatsakt wohl in kleinem Rahmen: Die Ketzer und die flandrischen Rebellen sind übrigens gleichgesetzt, auf schiebbaren Tischen werden die durch Folter Gemarterten vorbei gezogen.
Das alles ist stimmig, weil die Musik die psychologische Akkuratesse mitträgt. Oksana Lyniv, nur noch in dieser Spielzeit Chefdirigentin an der Grazer Oper, setzt sehr nachhaltig auf die dunklen Orchesterfarben, die sie bei Bedarf auch dick anrührt. Und dann sind da die erdfernen Flötentöne, wenn die Hoffnung auf den Tod die Qualen des irdischen Martyriums beiseite schiebt...
Die meisten Rollen sind mit Gästen besetzt, der am Nachhaltigsten beeindruckende ist Timo Riihonen als König Philipp – der erste Gefangene seiner selbst. Der ukrainische Tenor Mykhailo Malafii weiß die lyrischen Töne der Titelpartie auszusingen, was gut zu diesem Don Carlo passt, den die Regie als eigentlich dem Schicksal Ausgelieferten zeigt. Von anderem Schrot und Korn ist Neven Crnić als Rodrigo. Aurelia Florian weiß die ihr als Elisabeth auferlegte Zurückhaltung mit stimmlicher Präsenz abzufedern. Oksana Volkova ist eine Eboli mit innerem Feuer. Tetiana Miyus ist im Autodafé nicht engelgleiche „Stimme von oben“ sondern so etwas wie die Quotenfrau in der malträtierten Gruppe der Ketzer, eine gute, plausible Lösung.