Testosteron und Backhendlfett
GRAZ / SCHLAMMLAND GEWALT
29/03/19 Auf zum Volksfest! Beim Eingang gibt’s ein Bändchen ums Handgelenk, ein Fläschchen Bier darf man mitnehmen. Brauereibänke stehen im Geviert um die über und über mit bunten Glühbirnen behängte Spielfläche. Da ist also jeder gleich nah dran am Geschehen, ungefähr so nah wie der Hendlbrater, aus dessen Perspektive Ferdinand Schmalz vom schlammland gewalt erzählen lässt.
Von Reinhard Kriechbaum
Mit ihrer Produktion „Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis“ auf Texte von Stefanie Sargnagel (uraufgeführt 2017 im Wiener Rabenhoftheater) wurde die junge Regisseurin Christina Tscharyiski für den österreichischen Musiktheaterpreis und den Nestroy-Preis nominiert. Sie wurde damit auch zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen. Beim Radikal Jung Festival in München heimste sie den Publikumspreis ein.
Vom Bier ist's nicht weit zum Brathendl, und vom Bachmanpreis nicht zu Ferdinand Schmalz (den er 2017 gewonnen hat). Mit Christina Tscharyiski ist in Graz jetzt also eine zugange, die des Volkes wahren Himmel mit sagenhafter Lust auszumalen versteht. Da beilbt's nicht bei Aquarell-Wölkchen, auf Ferdinand Schmalz' Himmel dräuen dunkelste Wolken. Vor den maskulinen Unwetterbericht hat die Regisseurin, die zum ersten Mal in Graz inszeniert, eine Art Feuilleton über die Männlichkeit gestellt, die in „schlammland gewalt“ seltsamste Blüten treibt. Aus Sophie Passmans brandaktuellem Buch „Alte weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch“ hat sie dafür pointierte Aussagen ausgewählt, die dem Publikum erst mal um die Ohren geknallt werden. Rasch ist man gut weichgeklopft für die testosteronschwangere Dorf-Apokalypse von Ferdinand Schmalz.
Immerhin: „Alte weiße Männer sind Männer“, das hört man gern, und so haben beim Volksfest „der Zeiringer“ und sein Handlanger, „der Schauersberger“, nicht nur das Sagen. Die „Fettgemeinschaftskörper“ (© Ferdinand Schmalz) laufen im Festzelt zur Vollform auf. Schlechte Karten für Sandra, über die sich Zeiringers Sohn Toni hermacht, was ihm zuletzt schlecht bekommen wird. Bessere dran ist die frustrierte Schausbergerin, die immerhin den Kühlwagen des Hendlbraters und diesen selbst mitsamt seinen nackten Hühnerkeulen zum Schaukeln bringen wird...
Der Hendlbrater: Die Regisseurin setzt Schmalz' Theatermonolog für zwei. In ihren verschmierten Arbeitsschürzen stehen sie da. Als Werktätiger im Hühner-Verarbeitungsgewerbe muss man selbst hart gesotten sein, aber man hat immerhin die Chance „so eine Art Gesamtkunstwerk“ zu generieren. Und zum Beobachten bleibt Zeit. Der Blick weg von den Grillspießen führt in die dörflichen Abgründe, in die das ganze Festzelt zuletzt gerissen wird.
Das schildern Eva Mayer und Clemens Maria Riegler in einer ur-gewaltigen Doppelconference. Er hat was überlegen Schelmisches an sich. Sie oft leicht gebückt und mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, lässt manchmal an Figuren in Bildern des Bauern-Brueghel denken. Wenn die beiden über weite Strecken den Text unisono zitieren, gewinnt die Sache beinah archaische Gewalt, was urkomisch wirkt im Kontrast zu den leitmotivisch angestimmten Lobgesängen aufs fetttriefende Backhendl.
Immer wieder wechselt das Licht, von der Glühbirnen-Buntheit auf mysterisches magisch-blau. Dann bekommt es schon seine eigene Bedrohlichkeit, wenn die Lebzeltherzen sich mit Regenwassser vollsaufen. Vieles ist ja Masche in der Dichtkunst von Ferdinand Schmalz, aber auf Tragikomik quasi im Handumdrehen versteht er sich wie wenige.