Am dicken Strick, nicht am Faden
GRAZ / MARIA STUART
30/10/18 Unter lauter Möchtegern-Staatsmännern haben Staatsmänninen herzlich wenig auszurichten. Auch wenn sie eine Krone tragen (Elisabeth) oder der Meinung sind, dass ihnen eine solche zustehe (Maria Stuart). Die eigentlichen Hauptfiguren: die acht Höflinge.
Von Reinhard Kriechbaum
Diese Höflinge begleiten im Grazer Schauspielhaus, in der Inszenierung der „Maria Stuart“ von Stephan Rottkamp, als allgegenwärtiger Chor das Kräfteringen der beiden Frauen. Ein Kollektiv von antikisierender Wucht, akustisch und optisch. Sie alle tragen die gleichen schwarzen Anzüge, die gleichen Krawatten, die gleichen dunklen Brillen und die gleichen schwarzen Glatthaarperücken. Wo möglich, überträgt Stephan Rottkamp die Wortmeldungen der Höflinge diesem Chor. Eine solche Männerphalanx ließe wahrscheinlich auch einem Monarchen nicht viel Luft zum Atmen. Erst recht nicht einer Frau an der Sitze, wo die Luft merklich dünn ist. Die Ohnmacht der Königin wird unmittelbar greifbar und man versteht nur zu gut die elementare Verunsicherung, wie sie Sarah Sophia Meyer in der Rolle der Elisabeth sichtbar macht. Da steht das rote Kleid für mehr Haltung als der Mensch dahinter.
Henriette Blumenau ist Maria Stuart, ein, wenn man will, Schiller-typischer Sturm und Drang-Mensch, der in Wirklichkeit ebenfalls nur getrieben wird von falschen Freunden und dem anpässlerischen Verhalten der Hofgesellschaft. Diese Wendehälste verwandeln ihre Jacketts flugs Schottenröcke, wenn die Falschmeldung daherkommt, Elisabeth sei ermordet worden. Schon nach Minuten sind sie dann doch wieder bei der „echten“ Königin.
Was Maria Stuart mit strotzendem Selbstbewusstsein hinausschreit, könnte übrigens ein heutiger Staatsverweigerer auch seinem Gericht, das er partout nicht anerkennen möchte, entgegen schreien. Die Rolle der Maria Stuart bietet natürlich viel Möglichkeit zur Charakterdifferenzierung, die Henriette Blumenau über die ganze Skala nützt.
Aber doch bleiben von dieser Aufführung, für die Bühnenbildner Robert Schweer eine gar wunderbar-unbestimmte, um ein hohes Podest kippbare Spielfläche entworfen hat, die acht Hofschranzen nachhaltigst in Erinnerung. Aus dem Chor der Gleichgeschalteten (oder genaue, der sich Gleichschaltenden) treten gelegentlich Einzelne hervor. Sie nehmen dann ihre Perücken und Brillen ab, werden kurz zu Menschen, zu Intriganten aus Fleisch und Blut, um gleich wieder unterzutauchen im Chor der Anonymen. Übrigens: Diese Männer sind sogar die Bäume und das Vogelgezwitscher bei der großen Aussprache zwischen den Königinnen. Sie sind nicht Fädenzieher, sondern halten das Geschehen wie an einem dicken Strick in Händen.
Wie der Regisseur trotzdem einzelne Charaktere hervorscheinen lässt – den juvenilen Hitzkopf Mortimer (Benedikt Greiner), den gefährlich-bestimmenden Burleigh (Pascal Goffin), vor allem den sich beinah um Kopf und Kragen lügenden Leicester (Florian Köhler) – das ist, so nebenbei, ansehnliches Schauspieler-Theater, in dem manches vom Text gestrichen, vieles neu verteilt ist, das man aber immer ganz nah am Schiller'schen Hitzkopf-Theater empfindet. Entsprechend spannend ist die dreistündige Grazer Aufführung.