asdf
 

Liebessuche in der Höhenluft der Despotie

KLAGENFURT / KÖNIG LEAR

09/10/18 Überraschend dann doch, dass nach der Premieren-Pause gar nicht wenige Plätze im Stadttheater Klagenfurt leer blieben. Hat Shakespeares König Lear so sehr verschreckt oder war es die bis zum Pausenbeginn immerhin schon beinah zweistündige Textflut?

von Reinhard Kriechbaum

Die Regie von Stephanie Mohr kann wohl nicht die Ursache für den „fortlaufenden“ Erfolg gewesen sein, bestimmt auch nicht die durchaus illustre Schauspielerschar, die man zu dem Anlass nach Kärnten geholt hat. Freilich, es wird nicht wenig Konzentration verlangt, um wirklich alles Gesprochene mitzubekommen.

Vielleicht spielt eine veränderte Erwartungshaltung beim Publikum mit. Werden wir nicht oft und oft darauf getrimmt, Klassiker (und nicht nur die) in Schnäppchenform zu konsumieren, indem Regisseure an den Texten so lange schnipseln, bis genau jene Aussagen herauskommen, die ihnen wichtig sind? Mit solchem Einkochen oder Destillieren hat Stephanie Mohr nichts am Hut. Da muss man sich schon auf den ziemlich ganzen Shakespeare (oder auf den ziemlich ganzen Baudissin als Übersetzer) einstellen. Der Regisseurin wird man gewiss nicht den Vorwurf machen können, dass sie das Drama nach Gutdünken in eine bestimmte Richtung getrimmt habe, auch wenn sie im Programmheft als Bearbeiterin genannt ist. Wir bekommen den Lear und seine Mit- und Gegenspieler mit seinen und ihren gesamten Breitseiten serviert, seien sie königlichen, narrenhaften oder bösartigen Zuschnitts. Das ist nicht un-anstrengend, aber sehr gut so.

Über jede Figur lohnt es sich da nachzudenken, und Stephanie Mohr hat im Einzelnen sehr darauf geachtet, dass keine einseitigen Bösewichter und -wichtinnen entstehen. Man versteht schon, dass die Töchter genervt sind von Lear. Roman Kaminski macht deutlich, dass dieser König sich vor allem einsam fühlt, dass er dort oben, in der von Speichelleckern gesättigten Höhenluft der Despotie, mehr Bedürftigkeit nach echter Liebe als Machtwillen ausgebildet hat. Das ist der Psycho-Knackpunkt: Diesem Lear steht Altersmilde ins Gesicht geschrieben, und doch bekommt es rasch etwas Verbissenes, Verbiestertes. Er hat nicht wirklich Sinn für die Huldigungen der sehr entschiedenen Goneril (Isabel Schosnig) und der scheinbar immer den Tränen nahen, auf Seelchen machenden Regan (Valerie Koch). Aber doch auch nicht für die kantig-aufrichtige Cordelia (Raphaela Möst). Mit deren Direktheit kann er schon gar nicht umgehen. Aussagekräftig ist jene Szene im vierten Akt, wenn Cordelia bei der Wiederbegegnung mit dem Vater in all ihrer Aufrichtigkeit sichtlich erst ringen muss um Worte, die ihre aufrichtige Tochterliebe nach außen tragen könnten. Wer trägt da Schuld an der Kommunikationsunfähigkeit bisher?

Bis in die Nebenrollen kann man in dieser sehr genauen Regiearbeit also den Zwischentönen und manchem psychischen Widerspruch nachgehen. Ein immens starker Charakter ist Gloucester in der Gestalt von Heiner Stadelmann, der in all seiner höfischen Noblesse offenbar längst verlernt hat, zwischen echt und gespielt, zwischen Gefühl und Berechnung zu unterscheiden. Er ist ein leichtes Opfer von Edmunds Intrigen. Dennis Čubić als Gloucesters Bastard: gefährlich, weil leise. Die wie beiläufig präsente, Mensch gewordene Bösartigkeit.

Stephanie Mohr arbeitet noch etwas sehr deutlich heraus: Im Lear handeln so gut wie alle Protagonisten in hohem Maße solipsistisch. Das bildhaft werden zu lassen, arbeitet der Regie das so einfache wie präzise Bühnenbild von Miriam Busch zu. Am Anfang hat es ja ganz nach Festessen unter Königen und hohem Adel ausgesehen. Eine riesige, sehr schräge Tafel, ordentlich hergerichtet mit den Versatzstücken für ein Bankett. Aber wen interessiert schon Essen, wenn ein Königreich zur Disposition steht? Die Ränke verlagern sich rasch von der Tischkante auf die Tafel selbst, die zum Laufsteg wird für das Sinistre, für die Konflikte, die nach Lears vermeintlich generösem Machtverzicht augenblicklich hervorbrechen. Spalten tun sich auf, und im Lauf der drei Stunden (netto) wird die Spielfläche immer mehr segmentiert. Auf und zwischen den Podiumsteilen taumeln die Protagonisten schließlich mehr aneinander vorbei, als dass sie interagieren (was ja so angelegt ist im Stück, das man auch als eine Art Lehrwerk für die Folgen von Kommunikationsunfähigkeit lesen kann).

Lear und der Narr, dessen Fraktion mit Edgar (Sami Loris) und dem seiner Augäpfel beraubten Gloucester um starke Wahrheits-Sprecher angereichert wird: Kein Klamauk, gallige Erkenntnis spricht aus diesen von der Regie doch stets irgendwie leichtfüßig entworfenen Episoden. Zum Narren unterhält Lear das einzige Vertrauensverhältnis. Ruth Brauer-Kvam diese rothaarige Figur, Welterkenntnis in trauriger Gestalt mit spitzer Zunge, ist ein denkbar großer Kontrast zu den weichen Gesichtszügen und Bewegungen des ausgestoßenen Lear, der mit seinem Parker in die raue Natur besser passt als zu den wie aus dem Ei gepellten Höflingen in ihren Anzügen. Es regnet übrigens nicht in Cornwall, viele Ketten kommen vom Schnürboden. Auch das eine jener verblüffen einfachen, suggestiven Bildsetzungen dieser Aufführung, die schließlich ungeteilte Zustimmung gefunden hat.

Aufführungen bis 10. November – www.stadttheater-klagenfurt.at
Bilder: Stadttheater Klagenfurt / Karlheinz Fessl

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014