Zeitlose Parabel
THEATER AN DER WIEN / SAUL
19/02/18 Claus Guth inszeniert im Theater an der Wien mit „Saul“ sein viertes Händel-Oratorium, bleibt nah an der alttestamentarischen Geschichte von Aufstiegs und Fall eines Erwählten - und blickt tief in die menschliche Seele. Haus-„Debütant“ Laurence Cummings leitet mit nicht allzuviel Verve das Freiburger Barockorchester.
Von Oliver Schneider
Saul, als junger Mann aus dem Volk von Gott erwählt und dann zum ersten König des Volkes Israels gesalbt, erlebt Aufstieg und Fall als siegreicher Feldherr, dem der Erfolg irgendwann ausbleibt. Ein neuer Siegertyp übernimmt seine Rolle: Es ist der junge David, der den Goliath besiegt hat… So wird es im Buch Samuel des Alten Testaments erzählt. Und so oder so ähnlich ereignet es sich immer wieder auf den Weltbühnen der Macht, weshalb der oratoriumserfahrene Seelenforscher Claus Guth die Geschehnisse nah an der überlieferten Geschichte erzählt. Kostüme und Drehbühne von Ausstatter Christian Schmidt vereinen Elemente verschiedener Epochen und unterstreichen die zeitlose Gültigkeit der „Story“.
Während Händels Ouvertüre, vom Freiburger Barockorchester unter der Leitung des erstmalig am Theater an der Wien dirigierenden Laurence Cummings uninspiriert dahin fließt, schmiert Saul seinen Namen im weiß gekachelten Waschraum mit erdig-brauner Farbe an die Wand. Er weiß, dass seine Macht bröckelt und längst ein neuer Heilsbringer vor den Toren steht: David wird zu Tisch geladen und bringt das Haupt des erschlagenen Goliaths als Gastgeschenk mit. Noch ist David – wie einst Saul – der einfache junge Mann aus dem Volk. Tischmanieren und Gebaren lassen zu wünschen übrig. Sauls Tochter Merab lehnt einen Heiratsantrag brüsk ab, obwohl sie, wie ihre Schwester Michal und ihr Bruder Jonathan, von dem jungen Mann fasziniert ist. Saul erkennt die Gefahr, die von David für ihn ausgeht, und will ihn töten.
Florian Boesch ist genau der richtige Singdarsteller für die Partie des Saul: Er kehrt die Selbstzweifel des alternden Mannes, die Angst vor dem Fall in die Bedeutungslosigkeit, grandios nach außen. Gemessen an der Zahl der Arien hat Händel seinen Titelhelden stiefmütterlich behandelt. Aber was Boesch aus den Rezitativen und den Accompagnati herausholt, weil er keine Scheu vor herben Tönen kennt, lässt ihn bis in die tiefste Seele des alternden Herrschers vordringen. Man darf schon sagen, dass es zurzeit keinen anderen Regisseur gibt, der mit den Sängern so tiefenpsychologisch die Figuren erarbeitet wie Claus Guth.
Das gilt auch für den David, den Jake Arditti stimmlich beweglich, aber nicht sehr nuancenreich gestaltet: Er ist nicht einfach der Nachfolger Sauls, er trägt sektenführerhafte Züge. Aus schwarzen Anzugsträgern werden Jünger in weißen Gewändern, die David zu Füßen liegen, nachdem dieser auch noch über die Philister gesiegt hat. Darstellerisch passt Arditti perfekt in Guths Gesamtbild und repräsentiert einen David, der schnell vom Emporkömmling zum gewieften Herrscher wird, dessen Schicksal in jenem Waschraum endet, in dem Saul kurz zuvor im Spitalbett das Ende gefunden hat.
Der Choreograph Ramses Sigl bringt den Arnold Schoenberg Chor, einstudiert von Erwin Ortner und Roger Diáz Cajamarca, als zentralen Protagonisten ebenfalls ein bisschen in Bewegung, so dass er durch die engagierte szenische Einbringung als Volk Israel ebenso, wie durch seinen differenzierten Gesang besticht.
Anna Prohaska wandelt sich als Merab von der auf David hochmütig Herabblickenden zur glühenden Liebenden. Ihre Arien, in denen sie mit kristallklarer Fokussierung die Palette der Gefühle durchwandert, sind musikalisch die Höhepunkte dieses nicht ganz längenfreien Abends. Diese Längen sind der orchestralen Begleitung geschuldet: Vor allem im ersten Teil spielen die Gäste aus Freiburg zwar differenziert, aber die Kontraste kommen zu wenig deutlich heraus. Nach der Pause springt der Funken stärker über.