Von Puppen und Menschen
REST DER WELT / BREGENZ / MOSÈ IN EGITTO
23/07/17 Häufig steht Rossinis 1818 in Neapel uraufgeführter „Mosè in Egitto“ nicht auf den Spielplänen. Umso erfreulicher ist, dass man in Bregenz die Rarität ins Programm genommen hat. Lotte de Beer erzählt die auf die Bibel zurückgehende Handlung nicht nur durch die Protagonisten, sondern ergänzend mit Puppen.
Von Oliver Schneider
Die Flucht der Israeliten aus Ägypten, die Geschichte der Plagen Gottes und die sagenhafte Spaltung des Roten Meers sind um eine persönliche Zweithandlung ergänzt, die die biblische Geschichte verkompliziert, aber natürlich für die Opernbühne wichtig ist. Der Pharaosohn Osiride liebt heimlich die Hebräerin Elcia und ist hin und her gerissen zwischen seinen Gefühlen und seiner Treue zum Vaterland, weil sein Vater Faraone die Hebräer ziehen lassen will. Rossini arbeitete das Werk später für Paris zu einer Grand Opéra um – Moïse et Pharaon –, die 2009 bei den Salzburger Festspielen in einer wenig inspirierenden Inszenierung zu sehen war.
Der niederländischen Regisseurin Lotte de Beer ist hingegen in Bregenz eine diskussionswürdige, stringente Umsetzung der italienischen Fassung gelungen. Sie stellt den in historisch angedeuteten Kostümen agierenden Protagonisten Miniatur-Puppen zur Seite, die vom ebenfalls niederländischen Theaterkollektiv Hotel Modern geführt und mittels Video groß projiziert werden. Unter anderem auf eine Weltkugel, die neben einem gekrümmten Laufsteg und angedeutetem Sand für die Verortung der Handlung dient.
Mit den von drei Puppenspielern geführten Figuren holt de Beer die zeitlos gültige Handlung in die Gegenwart, zeigt vom Krieg zerstörte Städte, verletzte und misshandelte Menschen. Auch deren Peiniger. Besonders eindrücklich ist die Schlussszene: Die fliehenden Israeliten stehen am Meeresufer und versuchen mit Booten weiterzukommen, bis diese kentern. Doch dank Gottes Hilfe nach dem Gebet teilen sich die Fluten und die Puppen – Junge und Alte – schreiten gebeugt hindurch, während die verfolgenden Ägypter in den sich wieder schließenden Fluten jämmerlich ertrinken. Vielleicht war das dem einen oder anderen Besucher am Donnerstagabend zu realitätsnah, die Reaktion auf die Regie war jedenfalls sehr gespalten.
Aber die Puppenspieler führen nicht nur die Puppen und lassen es mit kindlich-spielerischen Mitteln blitzen und donnern, wenn Gott die Ägypter straft. Sie formen auch immer wieder die Menschenkollektive in den Tableaus nach ihrem Gutdünken, denn de Beer und ihr Regieteam (Bühne und Kostüme: Christof Hetzer, Licht: Alex Brok) übertragen Hotel Modern die Rolle des unsichtbaren (jüdischen) Gottes, wie ihn die Menschen sich vorstellen. Mit ähnlichen Schwächen, wie sie sie selbst auch haben.
Die Personenführung der Protagonisten hingegen ist konventionell und rampenlastig. Gerade in der Parallelhandlung würde man sich wünschen, dass das Liebespaar natürlicher, weniger schablonenhaft agiert. Bei den großangelegten Chortableaus hingegen ist eine oratorienhafte Statik werkimmanent, hatten sich weltliche Macht und Klerus in Neapel doch geeinigt, dass zwar in der Fastenzeit Opern gespielt werden durften. Sie mussten aber ein religiöses Sujet haben. Lukáš Vasilek hat den in Bregenz zentralen Prager Philharmonischen Chor für den Abend kompakt und harmonisch einstudiert.
Musikalisch braucht der Abend bis nach der Pause, um an Fahrt zu gewinnen. Dann jedoch sorgt Enrique Mazzola mit den Wiener Symphonikern für imposante, gut koordinierte Tableaus, noch mehr aber für sorgfältige Begleitungen in den lyrischen Momenten. Gänzlich versöhnt war man am Premierenabend mit der musikalischen Begleitung schließlich in der berühmten Preghiera im Schlussakt, die Moses, Aaron und Elcia gemeinsam mit dem mächtigen Chor um Rettung flehend intonieren.
Das Solistenensemble ist stimmlich homogen zusammengestellt. Andrew Foster-Williams gibt einen elegant-kraftvollen Faraone, Goran Juric seinen mächtigen Gegenspieler Mosè, Matteo Macchioni stattet seinen Bruder Aronne mit scharfer Charakterstimme aus. Sunnyboy Dladla verleiht dem Pharao-Sohn Osiride seinen stilsicheren Rossini-Tenor und gefällt mit sicheren Koloraturen. Mandy Fredrich ist Faraones, heimlich zum Judentum konvertierte Gattin Amaltea und ebenso in koloraturgespickten Arien zu Hause wie in den Momenten, wenn die Linie gefordert ist. Clarissa Costanzo überzeugt als Elcia. Taylan Reinhard als mit zwei Zungen sprechender Pharao-Berater Mambre und Dara Savinova als Amenofi komplettieren das Ensemble.