Wann wird der Umgang mit Büchern gelernt?
REST DER WELT / KINDERBUCHMESSE BOLGNA
11/04/16 Bis heuer hat die Internationale Kinderbuchmesse in Bologna so getan, als behaupte das Buch in den Kinderzimmern unangefochten seine Stellung. Die „Fiera del Libro per Ragazzi“ stellt die Ablöse des Buchs durch die digitalen Medien mit Nachdruck in Abrede.
Werner Thuswaldner
Wie Eltern und andere Erzieher wissen, sieht die Realität schon seit langem ganz anders aus: Die elektronischen Medien üben eine überaus starke Anziehungskraft aus und machen dem Buch seinen Rang streitig. Dem trug die Messe, die bis 7. April stattfand, erstmals Rechnung. Gleichsam in einer Nische konnten sich Anbieter digitaler Medien präsentieren. Dies geschah in sehr zurückhaltender Weise. Die digitalen Medien – so der vermittelte Eindruck – sind dazu da, vor allem Wissensstoff zu vermitteln, sie wollen das Buch ergänzen und nicht etwa verdrängen.
In begleitenden Vorträgen und Diskussionen war freilich zu erfahren, wie die Wirklichkeit aussieht. Die Kleinsten werden vor den Fernsehapparat gesetzt. Die etwas Älteren bekommen ein Tablet und lernen schnell, damit umzugehen. Später kommen der PC und das Mobiltelefon mit seinen reichhaltigen Möglichkeiten hinzu. Und wann findet die Einübung des Umgangs mit Büchern statt? Das ist die große Frage. Tatsache ist, dass die Lesefähigkeiten von Abgängern der Hauptschulen oft bestürzend gering sind.
Das Lesen fordert den Verstand mehr heraus als das Schauen, und die digitalen Medien bieten zudem so viel an mehr oder weniger lustvollem Zeitvertreib, wozu der wachsende Spielemarkt das Seine beiträgt.
Die vielen Verleger von Kinder- und Jugendbüchern – das beweist die Messe von Bologna mit Ausstellern aus aller Welt eindrucksvoll – sind bei weitem nicht bereit zu resignieren und das Feld den elektronischen Medien zu überlassen. Sie bieten das Material, mit dem die Kinder schon im Alter von zwei, drei Jahren anfangen können, in die Welt der Bücher einzutauchen und den Zusammenhängen zwischen Texten und Illustrationen nachzuspüren. Das befähigt sie, die Welt zu erfassen und ihre eigene Fähigkeit, sich auszudrücken, zu steigern.
Dieses Jahr war Deutschland das Gastland. Die Präsentation war nicht sonderlich geglückt. Der Gestalter der großen Ausstellungsfläche tat sich damit hervor, dass er eine große Mauer aus Rollen, wie sie Architekten für ihre Pläne benützen, errichtete. Was für eine seltsame Reminiszenz an die Berliner Mauer! Die 83 ausgewählten Illustratoren aber, deren Werk hier gezeigt wurde, erreichen mit ihrer Qualität nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene, indem sie nicht das Klischee der Niedlichkeit und der angeblichen Kindgerechtigkeit bedienen. Ein künstlerischer Anspruch wird vielfach deutlich.
Das Klischee war freilich auf vielen Ständen anzutreffen. Kinder haben demnach runde Köpfe und große, runde Augen. Dem Kitsch ist auf Schritt und Tritt zu begegnen. Vornehmlich an den großen Gemeinschaftsständen der Länder lassen sich Entdeckungen machen. Hier docken kleine Verlage an, die sich einen eigenen Messeauftritt nicht leisten können.
Österreich war wie immer mit einem Gemeinschaftsstand der Wirtschaftskammer vertreten. Hier fanden Verlage wie Jungbrunnen, Breitschopf, Picus und Obelisk ihren Platz. Der größte österreichische Kinderbuchverlag G&G, der Ueberreuter, Annette Betz, Nilpferd in einer Hand vereint, hatte einen eigenen Stand. Auffallend: Die einst eigenständigen Verlage folgen einer einheitlichen Ästhetik, und die legt nicht den größten Ehrgeiz an den Tag.
Bologna ist ein Platz, wo massenweise Lizenzen gehandelt werden. Das Wort von der Globalisierung des Kinderbuchmarkts ist durchaus angebracht. Besucherschlangen bilden sich vor Ständen, wo berühmte Illustratoren ihre Bücher signieren. Junge Leute mit Mappen unter dem Arm ziehen von Stand zu Stand, um ihre Portfolios herzuzeigen. Sie hoffen einen Verleger zu finden und träumen davon, ihr Leben einmal mit dem Illustrieren von Kinderbüchern bestreiten zu können. Womit man reüssieren kann, das sind Konzepte, nicht Geschichten und schon gar nicht längere Geschichten. Ein Beispiel: Ein Pappbilderbuch zeigt einfache geometrische Figuren; die Seiten geben jeweils den Durchblick auf die nächste frei; beim Durchblättern ist zu erfahren, in was für verschiedene Zusammenhänge die geometrischen Figuren gehören können.
Mit Spannung wird auf der Messe jeweils der Gewinner oder die Gewinnerin des „Astrid Lindgren Memorial Awards“ erwartet. Diesmal bekam den mit 540.000 Euro dotierten Preis die britisch-amerikanische Autorin Meg Rofoff, von der einige Bücher auch auf Deutsch erschienen sind.