Wettlauf zum Südpol
REST DER WELT / MÜNCHEN / SOUTH POLE
01/02/16 Uraufführungen sind gut fürs Renommee, aber für die Kasse ein Risiko. Um dieses soweit wie möglich auszuschließen, hat die Bayerische Staatsoper bei "South Pole" am Sonntag (31.1.) einiges aufgeboten: Thomas Hampson und Rolando Villazón in den Hauptpartien, Generalmusikdirektor Kirill Petrenko am Pult und schließlich Regie-Altmeister Hans Neuenfels.
Von Oliver Schneider
Im Vorfeld der Premiere konnte man sich ausführlich in Podcasts, Interviews und Features mit dem Werk beschäftigen und sich über die Expeditionen des britischen Marineoffiziers Robert Falcon Scott und des norwegischen Polarforschers Roald Amundsen informieren. Oder auch die Freude der Protagonisten am Erarbeiten der neuen Oper in den Social Media-Kanälen der Bayerischen Staatsoper nacherleben.
Nötig war all das nicht, denn der Abend erschließt sich intuitiv. Während heute zum Beispiel der Mars das erklärte Ziel ist von Menschen, die Grenzen überschreiten wollen, so war dies 1910 der Südpol. Der tschechische Komponist Miroslav Srnka und der australische Dramatiker Tom Holloway schildern den Erfolg und das Scheitern der beiden Expeditionen. Amundsen hisste als Sieger am 14. Dezember 1911 die norwegische Flagge am Pol und kehrte gefeiert wieder heim. Scott hatte das Nachsehen, kam erst 35 Tage später an und sah die Heimat nicht wieder.
„South Pole“ ist bereits die zweite Auftragsarbeit von Srnka und Holloway für die Bayerische Staatsoper. 2011 war die Kammeroper „Make No Noise“ im Rahmen Opernfestspiele zur Uraufführung gelangt.
Srnka und Holloway interessieren sich aber weniger für die genauen Fakten als für die Menschen. Den strebsamen, unerbittlichen Amundsen, der weiß, dass der Südpol nur erreicht ist, wenn er und seine Mannschaft auch wieder wohlbehalten zurückkehren und die Menschheit von ihrem Sieg am Pol erfährt. Als Polarforscher ist sich Amundsen auch der Gefahren viel bewusster als Scott, der trotz seines zur Schau getragenen sportlichen Siegeswillens etwas Verträumtes, auch etwas Bubenhaftes an sich hat. Das Träumen erlaubt sich Amundsen nur, wenn ihm seine blonde, unschuldige Landlady erscheint (glasklar Mojca Erdmann), während Scott seine recht bourgeoise Kathleen (präsent Tara Erraught) in der Vorstellung vor Augen hat.
Die Norweger und die Briten tragen ihren Wettkampf parallel aus, ohne einander zu begegnen. Deshalb hat Srnka das Werk symmetrisch angelegt. Jedes Team besteht aus fünf Männern, die Briten im linken Teil der Bühne (alle Tenöre), die Norweger rechts (alle Baritone). Bei den beiden zugehörigen Damen ist es ja genau umgekehrt mit der hohen und der tiefen Stimme. Neuenfels lässt den Abend in einem weißen Raum spielen, auf dessen Rückwand mit einem Kreuz das polare Ziel eingezeichnet ist (Bühne: Katrin Connan und Neuenfels). Hier konzentriert er sich auf die Menschen, ihre Empfindungen, Ambitionen und Ängste in der Einsamkeit der Eiswüste, ohne sonst übliches Beiwerk, was dem Abend etwas Überzeitliches, allgemein Gültiges verleiht.
Der zweiteilige Abend gliedert sich in jeweils sieben Szenen, die Symmetrie setzt sich in der musikalischen Struktur fort. In leicht zugänglichen Klangwelten und fließende Strukturen fängt der Komponist das Bedrohliche der Natur ein, lässt aber in den Träumen der protagonisten auch tonale Ruhepole zu und fordert die die Sänger singend und – verstärkt – sprechend heraus.
Es gibt sicher anspruchsvollere zeitgenössische Werke. Musik, Text und das Geschehen auf der Bühne verschmelzen aber bei South Pole zu einem dichten Ganzen, von dem man gute zwei Stunden gefangen ist. Daran hat das Bayerische Staatsorchester unter dem mit Herzblut engagierten und beim Schlussapplaus gelösten Kirill Petrenko erheblichen Anteil. Und natürlich die beiden Protagonisten: Sowohl Rolando Villazón als auch Thomas Hampson haben ihren stimmlichen Zenit überschritten, die Schlacken sind unüberhörbar. Aber gerade deshalb sind sie die idealen Darsteller für die ungleichen Polarreisenden. Bei Menschen in Extremsituationen wäre Schöngesang fehl am Platz.