Aufbruch am „Schwanensee“ ins Heute
REST DER WELT / ZÜRICH / BALLETT
03/01/14 Das Ballett Zürich schließt das Jahr 2013 in einer Silvestergala mit einer abwechslungsreichen Leistungsschau seines breiten Repertoires ab und zeigt, dass es auch unter der Leitung von Christian Spuck in der ersten Liga der europäischen Ballettkompanien mittanzt.
Von Oliver Schneider
Seitdem Andreas Homoki am Opernhaus Zürich die Fäden in der Hand hält, weht dort ein frischer Wind. Das gilt auch für das Ballett, denn hier konnte er den früheren Stuttgarter Hauschoreographen Christian Spuck verpflichten. Auch wenn er dem beim Publikum beliebten klassischen Handlungsballett weiterhin einen breiten Raum einräumt, so lässt er nicht einfach die bekannten klassischen Choreographien von Cranko, Iwanow und Nurejew tanzen, sondern choreographiert selbst und lässt so neu choreographieren, dass klassischer Tanz und modernes Tanztheater harmonisch ineinander fließen.
Sehr gelungen war in diesem Sinne der Auftakt in seiner ersten Zürcher Saison mit „Romeo und Julia“ auf die Musik von Sergej Prokofjew. Das Ballett von Christian Spuck kehrt im Jänner zurück auf den Spielplan. In der Silvestergala war als Kostprobe der Balkon-Pas de deux aus dem ersten Akt zu sehen, getanzt unter anderem von der US-Chinesin Yen Han, die seit 1994 dem Ballett Zürich angehört und im Laufe der Jahre eine unglaubliche körperliche Ausdrucksstärke gewonnen hat.
Den 200. Geburtstag von Georg Büchner haben die Zürcher mit den Balletten „Leonce und Lena“ und „Woyzeck“ gefeiert. Das erstere war ursprünglich für das Ballett des Essener Aalto Theaters entstanden, Spuck hat es im letzten Frühjahr nach Zürich übernommen. Zwei Ausschnitte standen Silvester auf dem Programm: die Wirtshausszene, in der das fantastische Junior Ballett nicht mehr so ganz fitte Gasthausbesucher mimt und das große Finale des 2. Akts mit allen Tänzern zum Schluss des Abends. Zu beidem erklang auch die für Silvester passende Musik aus der Strauss-Dynastie: die „Fledermaus“-Ouvertüre, die „Pizzicato-Polka“ von Johann Strauss Sohn und Josef Strauss sowie die „Plappermäulchen“-Polka von Josef Strauss (im Programm irrtümlich Johann Strauss zugeschrieben). Nur hätte die Philharmonia Zürich einen anderen Dirigenten als Rossen Milanov gebraucht, der schon beim Pas de deux aus dem 2. Akt von Tschaikowskys „Schwanensee“ am Beginn des Abends erkennen liess, dass von ihm keine Impulse zu erwarten waren.
Altes und Neues stand am Silvesterabend wie selbstverständlich nebeneinander und doch wurde gerade beim Ausschnitt aus Iwanows „Schwanensee“ klar, dass die Stärke der Zürcher Compagnie nicht im „klassischen“, russisch geprägten Ballett liegt. Da reicht es nicht aus, dass Viktorina Kapitonova in der Waganowa-Technik zu Hause ist. Elektrisieren konnten die Zürcher viel mehr mit „In sensu“ von Marco Goecke zur Arie „Agitata da due venti“ aus der Oper „Griselda“ von Antonio Vivaldi (vom Band). In perfekter Harmonie bewegte sich Spucks Lieblingstänzerin Katja Wünsche zum Koloraturfeuerwerk wie eine behände Katze. In „Aria“ von Douglas Lee zur Musik „Lost Objects“ von Michael Gordon, David Lang und Julia Wolfe, durfte Wünsche sich gemeinsam mit William Moore wie eine Schlange in hautengen, grün-blauen Anzügen winden und sich von ihm heben lassen.
Der Abschluss von Heinz Spoerlis „Ein Sommernachtstraum“ bot hier eine ganz andere Ästhetik. Zu Philip Glass‘ Violinkonzert (Solist: Konzertmeister Bartlomiej Niziol) ging es viel neoklassischer zu, und Spoerli-typisch waren die Herren technisch stärker gefordert. An Faszination hat diese Choreographie bis heute nichts verloren und bleibt eines der grossen Meisterwerke des früheren Zürcher Ballettdirektors.
Der „Klipp-Klapp-Galopp“ aus Johann Strauss‘ Operette „Waldmeister“ wäre als Quasi-Ouvertüre zum zweiten Teil entbehrlich gewesen, zumal der Vergleich mit den Wiener Philharmonikern am Neujahrskonzert den Unterschied schmerzlich aufzeigte. Noch überflüssiger war die Uraufführung „Liebestod“ von Compagnie-Mitglied Filipe Portugal zu Isoldes Liebestod gewesen. Gedacht war sie als Ausklang zum Wagner-Jubiläum. Anja Kampe, die zurzeit in Zürich als Leonore in „Fidelio“ reüssiert, übernahm den Gesangspart. Die Isolde ist aber (zurzeit) eine Schuhnummer zu groß für sie.
Einer der Höhepunkte des Abends folgte anschließend: „The Sofa“ von Itzik Galili zu „Nobody“ von Tom Waits, getanzt von Giulia Tonelli, Arman Grigoryan und Christian Alex Assis – und einem gelb-grünen Sofa als viertem Protagonisten. Nachdem sich eine junge Frau handgreiflich gegen die Annäherungen eines Mannes gewehrt hat und verschwindet, muss sich der Mann danach gegen die Bemühungen eines anderen Mannes wehren. Ebenso witzig war Christian Spucks „Grand Pas de deux“ zu Rossinis Ouvertüre zur „La gazza ladra“ aus dem Jahr 1999: ein etwas anderer Pas de deux mit einer bebrillten Ballerina (Viktorina Kapitonova), bei der nicht immer alles so funktioniert, wie es soll.
Bis zum Saisonende kommt auf das Ballett Zürich nun noch einige Arbeit zu. Das Repertoire wird um zwei dreiteilige Abend mit Choreografien unter anderem von Martin Schläpfer, Jiri Kylián und Christian Spuck erweitert.