Wenn Leonore sterben würde
REST DER WELT / ZÜRICH / FIDELIO
10/12/13 Andreas Homoki und Fabio Luisi setzen Beethovens „Fidelio“ im Opernhaus Zürich fast ohne Dialoge neu zusammen.
Von Oliver Schneider
„Er sterbe“, mit diesen Worten aus dem Quartett im zweiten Aufzug stürzt Don Pizarro in den grauen Einheitsbühnenraum, um seinen Widersacher Florestan zu töten. Dessen Gattin entreisst ihm die Pistole, doch noch bevor die befreiende Trompete die Ankunft des Ministers verkündet, hat sich ein Schuss gegen die Retterin gelöst, die in den Armen ihres Gatten stirbt. Mit dem Trompetensignal, das damit eine Art religiöses Befreiungssymbol erhält, setzt das Orchester mit dem zweiten Teil der Ouvertüre ein. Leonore erhebt sich, geht in den sich nach hinten öffnenden Raum und lässt sich von Frauen umarmen, bevor sie die Geschehnisse nochmals träumt.
Homoki hat aber nicht nur eine Rahmenhandlung, bestehend aus Pro- und Epilog erfunden, sondern noch weiter kräftig in das mitunter schwierige Werk mit seinem biederen und langatmigen Dialogen und dem kaum auf die Bühne zu bringenden Schlussbild eingegriffen. Er und sein Team (Bühne: Henrik Ahr, Kostüme: Barbara Drosihn, Dramaturgie: Werner Hintze) lassen das Werk in einem fast requisitenlosen Raum in zeitlosen Kostümen spielen. Die Dialoge sind bis auf wenige Stellen radikal gestrichen. Dass nun Musiknummer nach Musiknummer folgt, ist aber alles andere als ermüdend. Fabio Luisi erzeugt mit der Philharmonia Zürich eine sich aufladende Spannung, wie man sie sonst nur bei Originalklangensembles erlebt. Fantastisch, wie präzise die Balance zwischen Streichern und Bläsern austariert ist. Nur an wenigen Stellen geht das Temperament mit Luisi durch, und man würde sich ein größeres Haus als das Opernhaus Zürich wünschen.
Die Idee, die Dialoge zu streichen respektive zu kürzen, ist nicht neu. Es ganz den Solisten zu überlassen, durch ihr Spiel die Handlung und das Innenleben der Protagonisten wiederzugeben, so radikal ist auch Homoki nicht. Die Namen der Personen werden beim ersten Auftreten auf die Rückwand projiziert, ebenso die Handlungsorte (für was in einem abstrakten Raum?), und einmal erschallen die alten Texte aus dem Libretto als Gedankenfetzen im Raum verteilt. Eher noch unüblich für die Oper ist, dass Homoki und Luisi die musikalischen Nummern neu zusammengesetzt haben, was im Gesamtkonzept stimmig ist. Aber möglicherweise musste das Regieteam genau dafür am Schluss einige Buhrufe einstecken.
Im zweiten Aufzug geht es konventioneller zu, und für das oratorienhafte Schlussbild hat auch Homoki keine schlüssige Umsetzungsidee gefunden. Nur, dass wir zurück in die Rahmenhandlung kehren und Florestan seine tote Gattin in den Armen hält.
Mit Anja Kampe erlebt man in Zürich eine erfahrene Leonore mit obertonreichem Sopran und flexibler Mittellage. In der Höhe neigt sie zu Verengungen. Brandon Jovanovich als Florestan fühlt sich am wohlsten im Mezzoforte und im Forte, was man gleich beim „Gott“ seiner Auftrittsarie mit dem hohen G erfahren muss. Bei Martin Gantners Pizarro vermisst man das rachsüchtige Element im Spiel, zudem ist sein Bariton zu hell für die Partie. Rolleneckend gibt Christof Fischesser den Opportunisten Rocco, Hervorragend szenisch gelöst hat Homoki die Szene zwischen Pizarro und Rocco, in der Pizarro den Alten mit Geld zum Mord an Florestan anstachelt. Wenn Rocco Geldscheine zusammenraffen kann, ist er zu allem bereit. Julie Fuchs als Marzelline ist eine hörenswerte Entdeckung, Mauro Peter ein wohl auch regiebedingter blasser Jaquino. Das letztere gilt auch für den Minister von Ruben Drole. Ernst Raffelsbergers Einstudierung war Garant für die homogenen Chöre.